Vom 17.-20. Januar 2002 fand in Bremen die Crossover-Conference statt. Die vorbereitende Antiracist Antisexist Summercamp-Project-Gruppe aus Berlin, Bremen und Warschau hatte ursprünglich bereits für den Sommer 2001 ein einwöchiges Camp ins Auge gefasst. Das Camp ist nun für dieses Jahr angesetzt, der Kongress ist somit eher eine Vorbereitungsveranstaltung. Die Summercamp-Gruppe ist 2000 auf einem Grenzcamp entstanden und kommt damit schon aus einem Rahmen, der relativ viele Berührungspunkte für verschiedene Linke Gruppen bot. Erklärtes Ziel der Conference ist es folglich auch, verschiedene Spektren wieder einmal oder auch erstmals zusammenzubringen und eine Verbindung zwischen universitärem Diskurs und Bewegungspolitik zu schaffen. Im Vorfeld der Conference hat Phase 2 mit deren Initiatorinnen gesprochen.
Das Sommercamp-Projekt ist im Sommer 2000 auf einem antirassistischen Grenzcamp entstanden. Wie stark seht ihr euch diesem Hintergrund verbunden?
Zunächst einmal: Wir sind eine ziemlich kleine aber sehr heterogene Gruppe aus drei verschiedenen Städten . Nicht für alle war das Grenzcamp der zentrale Ansatzpunkt, einige sind erst später dazugekommen, weil sie von den sexistischen Strukturen ihres "Szenealltags" angenervt waren und im Projekt eine sinnvolle Betätigung dagegen gesehen haben. Für die InitiatorInnen des Projekts waren es aber vor allem die sexistisch-rassistischen Vorfälle auf den letzten beiden Grenzcamps, die den Ausschlag dafür gegeben haben, sich Gedanken um neue Interventionsformen zu machen. Ob diese dann auf dem nächsten Grenzcamp in Thüringen angewendet werden oder ob es ein eigenes antisexistisch-antirassistisches Camp geben wird, wird sich wahrscheinlich im Output der Conference zeigen.
Grob zusammengefasst: Was sind eure wichtigsten Kritikpunkte an den linken, bewegungsorientierten Gruppen, aus denen ihr hervorgegangen seid?
Die meisten Gruppen beschäftigen sich halt nur mit der Analyse und dem Kampf gegen ein Herrschaftsverhältnis, meist Rassismus oder Sexismus oder Kapitalismus. D.h., dass blinde Flecken übrig bleiben, wie sie auf den Grenzcamps sichtbar wurden. Die Frage ist, wie Verknüpfungen aussehen, und wie der Tisch beschaffen sein muß, an dem sich die unterschiedlichen Leute dann zusammen finden können. Das fängt bei der Frage nach einer für alle verständlichen Sprache an, geht über Sprachverhalten, das je nach Dominanz oder Atmosphäre einige Leute abschreckt, bevor wir überhaupt inhaltlich reden können, wo es dann wichtig wird, welches Wissen, welche theoretischen und praktischen Erfahrungen denn stillschweigend vorausgesetzt werden, was dann weitere Ausschlüsse produzieren kann...
Die theoretische Verknüpfung der Analyse von Herrschaftsverhältnissen ist ja schon älter, wie z.B. feministischer Marxismus oder der postkoloniale feministische Diskurs. In der Praxis bestehen aber nur wenige Ansätze. Es geht uns darum, den analytischen Blick so zu verinnerlichen, dass wir in der Lage sind, Unterdrückung zu erkennen und die weiße, heterosexuelle, deutsche Normalität anzugreifen. Das kann über Sprache funktionieren oder darüber, dass z.B. sexistische Sehgewohnheiten gestört werden. Oder über provokative Straßenaktionen wie PinkSilver. Sicher ist es unbequem und nicht besonders "hip", sich Gedanken über die eigene Identität zu machen, über die eigenen Privilegien als WeißeR oder körperlich "normal" FunktionierendeR oder als männlich kategorisiertes Subjekt. Es verunsichert halt, was in einer Welt, wo immer alles eindeutig und stark zu sein hat, eher uncool ist. Es gibt in großen Teilen der Linken noch sehr wenig Sensibilität für Brüche. Gerade im Antifabereich erscheinen in den Publikationen häufig stereotypisierte (vereinheitlichte?) Geschlechterbilder, wie z. B. in eurem zweiten Heft die anatomische Darstellung von Frau-Mann-Mädchen-Junge. Wo sind die Intersexuellen, Transgenders etc.? Und wo geht aus so einer Darstellung hervor, dass geschlechtliche Zuweisung genau so ein Konstrukt ist wie Hautfarbe? Auch das Abfeiern des männlichen antifaschistischen Kämpfers a la Captain America (Comicheld) haut in dieselbe Kerbe. Auch Antifas weinen...
Unter eurem Kongress-Flyer steht "Antiracist Antisexist Summercamp Project". Bezieht ihr euch auf eine bestimmte Rassismus/Sexismus-Analyse?
Unser Konzept ist, unterschiedliche Ansätze zusammen zu bringen. Die Behauptung der einen, wahren Analyse würde diesem Konzept widersprechen. Zentral ist das Hinterfragen der eigenen Identität: Welche Identität(en) hab ich, wie viele brauch ich, wo kommen die her, wie stelle ich die her? Und vor allem: Wo produzieren die Ausschlüsse, z. B. gegenüber Frauen, Nicht-Weissen, anders gekleideten Personen? Was den theoretischen Hintergrund angeht, beziehen sich viele von uns auf (de)konstruktivistische Ansätze. Übrigens durchaus auch kritisch: Für uns geht es nicht an, zu sagen: "Juchhe, Geschlecht und den ganzen Kram gibt's ja nicht, ist alles nur konstruiert, und somit brauchen wir auch das Definitionsrecht der Frau im Vergewaltigungsfalle nicht mehr." Diese Argumentation ist zu weit weg von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, und dass auch in der Postmoderne als Frauen kategorisierte Subjekte weiterhin aufgrund ihres zugeschriebenen Geschlechts Diskriminierungen erfahren, läßt sich für uns nicht von der Hand weisen. Was uns noch verbindet, sind verschiedene Kritikpunkte an Identitätspolitik: Identitäten sind für uns ein Teil von Herrschaft, sie produzieren Aus- und Einschlüsse und machen Unterschiede zu einem bestimmten Zweck unsichtbar. Durch einen dominanten Diskurs wird eine Identität konstruiert, z. B. wie eine linksradikale Identität auszusehen hat oder wie eine politische Praxis "geartet" sein muss. Der organisierte Ideal-Antifaschist ist eher keine Tunte, und die Ideal-Lesbe geht nicht mit Personen ins Bett, die einen Penis haben. Und wenn du es anders handhabst, fällst du halt auf. Es gibt also eine "Normalität", die bestimmte Hierarchien produziert. Die gilt es, sichtbar zu machen und anzugreifen, weil sie dafür sorgen, dass eine weiße, männliche, heterosexuelle Herrschaft stabilisiert wird. Das heißt, dass es sich eigentlich widerspricht, Männlichkeit nicht zu hinterfragen, aber gleichzeitig wirkungsvolle antirassistische Politik machen zu wollen. Entweder wird der eigene Sexismus zugunsten eines anderen ausgeblendet ("Die Taliban unterdrücken ihre Frauen.") oder ein Unterdrückungsverhältnis (Rassismus) wird als wichtiger als ein anderes (Sexismus) erachtet, und eine Verknüpfung findet nicht statt.
Trotz dieser Kritik wollt ihr keine Erweiterung akademischer Debatten sein, sondern praxisbezogen arbeiten. Gibt es Bewegungslinke, in deren Strukturen ihr hinein wirken möchtet? Oder seid ihr eher der Ansicht, dass völlig neue Praxisansätze entwickelt werden müssen, um eurer Kritik Rechnung zu tragen?
Beides wäre schön bzw. bedingt sich. Aber erstmal geht es uns darum, eine Debatte anzustoßen und neue Praxisformen zu entwickeln. Die Konferenz ist dabei der Anfang eines Entwicklungsprozesses. Einige WorkshopleiterInnen haben sich Gedanken darüber gemacht, wie sich Zweigeschlechtlichkeit und Krieg zusammen denken lassen. Oder Behinderung und Feminismus. Das muss ich erst mal denken lernen, und dann kann ich schauen, wie ich damit Normalitäten angreife. So wird ein Bestandteil der Conference Kopfrockerei sein, die Begegnung untereinander und die Auseinandersetzung mit Praxisformen Anderer. Es wird sicherlich in Bremen einiges an Aktionen geschehen, der Raum dafür ist jedenfalls da. Zudem gibt es im Workshopplan einen Open-Space-Block, wo alles Platz hat, was wir nicht abgedeckt haben, wo Leute auch spontan was anzetteln können.
Wie geht's nach Kongress und Sommercamp weiter? Versteht ihr euch als Vorbereitungskomitee für diese Initiativen oder könnt ihr euch vorstellen, auch weiterhin in diesem Zusammenhang politisch aktiv zu sein?
Die Vorbereitungsgruppe sind 12 Leute aus Berlin, Münster und Bremen. Nicht alle werden nach der Konferenz dieselben Projekte weiter verfolgen, zumal wir hoffen, dass in der Folge der Konferenz neue Projekte entstehen. Wir planen aber ein Nachbereitungswochenende im Frühling in Berlin und haben die Idee des Sommercamps. Das läuft vielleicht in Kooperation mit unseren polnischen GenossInnen. In Polen wird es am 8. März in Warschau Aktionen geben, und es besteht von dort aus großes Interesse an einer Beteiligung deutscher Linker. Für einige von uns ist nach wie vor klar, auch auf dem nächsten antirassitischen Grenzcamp mit antisexistischer Kritik und Intervention präsent zu sein.
Vielen Dank fürs Interview.
Phase 2 Berlin