Narrative, die sich kategorisch ausschließen und eine internationale Solidarität, die sich als unmöglich erweist Ein Text in dieser Rubrik in einem Heft, dessen Schwerpunkt sich explizit mit Fragen des Internationalismus und linker Politik in globalen Ungleichheitsverhältnissen beschäftigt, sollte an dieser Stelle kurz auf diesen Zusammenhang eingehen. Anspruch des Internationalismus ist es bzw. war es immer, sich mit anderen linken Bewegungen zu solidarisieren, die gegen Herrschaftsverhältnisse aufbegehren. Diese Solidarität verkehrt sich ins Völkische, wenn sie sich mit internationalen Befreiungsbewegungen solidarisiert und damit in Kauf nimmt, jede emanzipative Form des Widerstandes gegenüber Herrschaft, die auch das nationale Konstrukt mit einschließt, aufzugeben. Sicherlich muss hier ein Unterschied zwischen den Unabhängigkeitsbewegungen ehemaliger Kolonien und dem Streben nach staatlicher Souveränität und nationalen Befreiungsbewegungen innerhalb der Grenzen der Europäischen Union gemacht werden. Was hier nur in Kürze reflektiert werden soll, ist die Frage nach der Intention, einen Artikel über eine »andere Linke« in einem Schwerpunktheft wie diesem zu schreiben.
Dieser Artikel widmet sich der (radikalen) Linken in Israel. Dieser Artikel ist zum großen Teil Ergebnis vieler Gespräche mit linken Israelis und auch mit nach Israel reisenden deutschen Linken. Die Bedeutung des unterschiedlichen historischen Kontextes, in dem Linke in Deutschland und in Israel stehen, könnte offensichtlicher nicht sein. Dieser Kontext ist zugleich ausschließend – so weit, dass einige LeserInnen sicherlich der Meinung sind, dass es sich für deutsche Linke verbiete, die Politik der israelischen Linken zu bewerten – und verbindend. Das allein bedeutet für einen Artikel mehr als lediglich eine Aufzählung dessen, womit sich linke Gruppen beschäftigen und worin ihre jeweilige Arbeit besteht. Die Situation ist im Fall Israels eine andere als im Fall Indonesiens, über das im letzten Artikel der Rubrik Cosmo behauptet wurde, dass es sich nie wirklich als Projektionsfläche für eine internationale linke Bewegung geeignet habe. Eva Kirshner: Reformasi statt revolusi. Die Linke Indonesiens zwischen Wiederaneignung einer verschütteten Geschichte und Neuerfindung einer Bewegung, in: Phase 2 Zeitschrift gegen die Realität 36 (2010), 66-69. Globale Medien, Menschenrechtsorganisationen oder auch links-intellektuelle TheoretikerInnen haben sich auf die politischen Ereignisse eingeschossen. Seit der zweiten Intifada reisen vermehrt internationale AktivistInnen, hauptsächlich aus den USA und den europäischen Ländern, nach Israel, um sich mit der israelischen radikalen Linken zu solidarisieren oder um hier den Kampf gegen, so scheint es, »all die Ungerechtigkeiten dieser Welt« zu führen. Uri Gordon, Hier und Jetzt. Anarchistische Theorie und Praxis, Hamburg 2010, 204. Teilweise wird diese internationale Solidaritätsbewegung durch das Internationale Solidarity Movement (ISM) organisiert. Eine Initiative, die 2001 entstand und die überwiegend europäische und nordamerikanische AktivistInnen mobilisiert und unterstützt, die nach Israel und in die palästinensischen Gebiete kommen.
Es geht in diesem Artikel explizit nicht darum, die Notwendigkeit von Solidarität zu konstatieren, sondern im Gegenteil die Unmöglichkeit von Solidarität aufgrund des jeweils anderen historischen Zusammenhangs der Linken eines bestimmten Landes zu diskutieren. Ich werde mich dabei nicht auf die Motivation internationaler AktivistInnen konzentrieren, sondern vielmehr auf das Verhältnis zwischen der deutschen und israelischen Linken und zwischen den sich ausschließenden Narrativen.
Ich schreibe über Erfahrungen als solidarische Linke, die während ihrer Zeit in Israel versuchte, linke Diskussionen nachzuvollziehen. Das Dilemma zwischen dem Verständnis für eine politische Motivation einerseits und der Irritation angesichts der offensichtlichen Ignoranz gegenüber Antisemitismus andererseits wiederholte sich in Gesprächen. Dieser Artikel ist der Versuch, darüber zu reflektieren.
Narrative der Linken
Im März 1971 entsteht in Israel zum ersten Mal eine Bewegung jenseits eines zionistischen, europäisch geprägten linken Verständnisses. Die Black Panther zeigten sich öffentlich auf einer Demonstration in Jerusalem – eine Gruppe zumeist junger Männer, die aus den arabischen Ländern in den fünfziger Jahren nach Israel kamen. Ihre Kritik richtete sich an die israelische Regierung und gegen eine Politik, die arabischen Jüdinnen und Juden bestimmte Zugänge zur Gesellschaft verwehrte sowie gegen eine strukturelle Ungleichbehandlung. »Entweder der Kuchen wird geteilt oder es gibt keinen Kuchen« http://www.kedma.co.il/Panterim/PanterimTheMovie/EnglishArticles.htm, 15. Juli 2010. lautet ein Slogan der Black Panther.
Der Libanonkrieg in den achtziger Jahren war ein weiteres Ereignis, das die Agenda linker, sozialistischer Gruppen beschäftigte. Zum ersten Mal nahm die Zahl der Kriegsdienstverweigerer zu. Besonders die innerisraelische Kritik an den umstrittenen Ereignissen in den Flüchtlingslagern Sabra und Shatila unterstützte diese Tendenz. Seitdem waren Anti-Militarismus oder auch – wie während der ersten Intifada – die Weigerung, sich in den besetzten Gebieten einsetzen zu lassen, in weiten Teilen der Linken Praxis. http://israeli-left-archive.org, 22. Juli 2010. In den neunziger Jahren prägten der Oslo-Vertrag, die Hoffnung auf eine Lösung des Konflikts und die Ermordung Yithzak Rabins 1995 die Kritik und das Engagement der Linken. Erst mit dem Ende der neunziger Jahre und einer international größer werdenden globalisierungskritischen Bewegung, die auch die israelische Linke beeinflusste, »verbanden sich viele antikapitalistische, feministische, umweltaktivistische und Tierrechtsgruppen«, Gordon, 204. um gemeinsam gegen die Politik Israels zu protestieren. Diese organsisierten sich, es kam zu Kundgebungen, Demonstrationen oder auch Konferenzen gegen die Intifada, später dann auch gegen den Libanon- und den Gazakrieg und den Mauer/Zaun-Bau. Seit der zweiten Intifada, dem Beginn der Errichtung des Sicherheitszauns im Norden des Landes und der Mauer, die sich größtenteils unzusammenhängend um Jerusalem windet, haben sich Teile der Linken radikalisiert und sind zunehmend »autonom« geworden. Autonom insofern als sie typische Dresscodes und Strukturen aufgebaut haben: Infoladen, Veranstaltungskollektiv und vegane Vokü. Zeitgenössische linke Strukturen wie Indymedia Israel oder auch der Infoladen Salon Masal in Tel Aviv sind in dieser Zeit entstanden. 2003 wurde die Gruppe Anarchists Against the Wall (AATW) gegründet. Was hier in Israel zum ersten Mal geschah, war ein auf Konfrontation angelegter kontinuierlicher Protest von Israelis gegen Israelis Auch hier müsste der Richtigkeit halber von »jüdischen« Israelis gesprochen werden. Sowohl die linken Einflüsse als auch Konfrontation mit dem Staat gestalten sich unter arabischen Israelis anders. und nicht, wie bisher, eine wütende, aber weitestgehend solidarische Friedensdemonstration. Unter den jüdisch-israelischen BewohnerInnen in Israel gab es schon immer gewaltbereite Demonstrationen und Aktionen, die aber ausschließlich von Orthodoxen ausgehen und sich bspw. gegen von Knesset beschlossene Gesetze richten, die nicht im Einklang mit streng religiösen Vorschriften und Lebensweisen sind. Die Gruppe war zu Beginn explizit Teil der Demonstrationen in arabischen Dörfern wie Bi'ilin nördlich von Jerusalem, durch die oder an denen vorbei die Mauer gebaut wurde. Jeden Freitagnachmittag treffen dort geradezu routiniert DemonstrantInnen auf SoldatInnen. Hier starteten im Winter 2005 Aktionen unter der Initiative der palästinensischen sogenannten Popular Committees, die in mehreren Dörfern und Städten die Initiative gewaltloser Aktionen gegen den Mauerbau koordinieren. Gordon, 207.
Aber auch Gruppen wie z.B. Breaking the Silence entstanden. Zwar lässt sich das Engagement der Gruppe, die sich aufklärerisch an die israelische Gesellschaft richtet, als zivilgesellschaftlich bezeichnen, doch ist das Selbstverständnis ein linkes. So trugen zum Beispiel ehemalige SoldatInnen, die während und nach der Intifada in und um Hebron stationiert waren, ihre Erfahrungsberichte zusammen und veröffentlichten sie in Ausstellungen, Veranstaltungen und Touren. Ihre Erfahrungen und ihre Teilnahme an militärischen Aktionen sind – entgegen dem Prinzip einer demokratischen Armee – eben doch nur wenigen vorbehalten und bekannt und sollen deshalb öffentlich gemacht werden. Indem sich die Touren direkt an die israelische Öffentlichkeit wenden, soll Kritik entstehen. Vgl. http://www.shovrimshtika.org/index_e.asp, 15. Juli 2010. Ich habe an einer Tour für TouristInnen/ AktivistInnen teilgenommen. Das Konzept, sich an die eigene Gesellschaft zu wenden, ist sicherlich wesentlich sinnvoller. Die Tour für TouristInnen führt m.E. dazu, dass vorgefertigte Meinungen, die über die israelische Armee herrschen, bestätigt werden, ohne dass die Komplexität der Lage bewusst gemacht wird.
Ebenfalls während der zweiten Intifada im Jahr 2001 gründete sich die Gruppe Kvisa Shkhora (Black Laundry), deren GründerInnen aus dem LesbianGayTransBi (LGTB)-Umfeld kommen und sich ebenfalls mit Aktionen an dem Protest gegen die Besatzung des Westjordanlandes und des Gaza-Streifens beteiligten. Uri Gordon, linker Aktivist und Autor, der u.a. die AATW mitgründete, betont die doppelte Rolle, die die Aktionen aus der Queer-Szene innehaben. Zum einen engagieren sie sich mit anderen linken Gruppen in Aktionen gegen die Politik Israels. Zum anderen geht es darum, innerhalb der Bündnisse auf israelischer wie auf palästinensischer Seite Unterdrückungsverhältnisse aufzuzeigen. So sorgte Black Laundry 2001 für Aufsehen, als sie schwarz angezogen auf der Gay Pride in Tel Aviv Flyer verteilten: »There is no Pride in the Oppression of others«. Es gibt keinen Pride in der Unterdrückung der Anderen: http://www.blacklaundry.org/eng-index.html, 20.07.2010.
Linksradikale Kritik macht sich heute an aktuellen Konflikten fest. Was deshalb viele Gruppen in ihrer Arbeit eint, ist nicht der Bruch mit den Mythen und großen Erzählungen der Staatsgründer, sondern vielmehr die konkrete Forderung nach dem Ende der Okkupation der palästinensischen Gebiete in der Westbank.
Heterogenität
Es existiert kein homogenes Selbstverständnis innerhalb der israelischen Linken. AktivistInnen der radikalen Linken sehen sich politisch in keiner Weise mit linken zionistischen Gruppen verbunden und umgekehrt. Die Heterogenität zeigt sich an den unterschiedlichen Zielgruppen und lässt sich auch in den Städten Tel Aviv, Haifa und Jerusalem erkennen. Nicht nur das Auftreten und die politische Arbeit der Linken unterscheidet sich, sondern auch, in welchem Maße das Verhältnis zwischen arabischen und jüdischen Israelis eine Rolle spielt, was in Haifa besonders ausgeprägt ist. Ein weiterer Unterschied, der in Jerusalem deutlich wird, besteht darin, welche Rolle der Konflikt zwischen Israelis und PalästinenserInnen bzw. dem Westjordanland spielt. Die Szene in Tel Aviv wird durch alle möglichen Lifestyles geprägt: Squattings, öffentliche Aktionen und Demos, Punk- und Hardcorekonzerte, politische Kunst, Festivals und andere Formen des politischen Aktivismus. Die antizionistische oder israelkritische Linke in Jerusalem ist demgegenüber stärker akademisch ausgerichtet. Hier findet eine Politisierung häufig über die Uni statt. Die Proteste in dem arabischen Stadtteil Sheikh Jarrah beispielsweise wurden weitestgehend von arabisch-israelischen Studierenden initiiert. Die Stadt ist eine Konfliktzone – wöchentlich, manchmal auch täglich kommt es zu Auseinandersetzungen. Haifa hingegen war schon immer Symbol für Koexistenz. Was nicht so zu verstehen ist, dass ein Zusammenleben wirklich stattfindet. Gleichzeitig ist die friedliche Situation im Norden Israels immer betont worden. Dies hat sich jedoch mit den Aufständen in Akko und auch mit der zweiten Intifada verändert. Trotzdem gab es in Haifa schon immer eine größere Präsenz von arabisch-jüdischen Initiativen, aber auch mehr Proteste innerhalb Israels.
Die arabisch-israelische und die jüdisch-israelische Linke haben kaum miteinander zu tun. In Organisationen wie Ta'ayush , die sich um Verständigung zwischen AraberInnen und Jüdinnen und Juden bemühen oder, wie Re'ut sadaka, ein Zusammenkommen von Jugendlichen durch pädagogische Arbeit befördern, sieht das Verhältnis ausgeglichener aus, als in der radikalen, aktivistischen Linken. Die realen Ungleichheitsverhältnisse verlaufen ganz klar entlang der arabisch-israelischen bzw. jüdisch-israelischen Zugehörigkeit. Kulturelle Herkunft, Erziehung und Sprache machen einen Unterschied zwischen jüdischen und arabischen Israelis und daher sind auch die Zielsetzungen und die politisch-theoretischen Einflüsse verschieden.
Sich ausschließende Narrative
»Die israelische radikale Linke hat kein Erbe. Das einzige Erbe, das wir haben, ist der Staat, seine Gründung und seine Mythen«, antwortete mir ein Israeli auf die Frage nach der historischen Entwicklung der israelischen Linken. Natürlich ist diese Antwort nicht repräsentativ, doch es lassen sich an ihr verschiedene Aspekte des Verständnisses der »radikalen« Linken nachvollziehen. Es gibt zudem unterschiedliche Beweggründe und Einflüsse israelischer linker KritikerInnen, die ebenfalls zeigen, welche Ereignisse ihre politische Sozialisation beeinflussten und welche Narrative weitergeführt werden. Radikal links zu sein, bedeutet ein antizionistisches, israelkritisches Selbstverständnis, dass sich vom linken Zionismus abgrenzt. Es gibt hier offensichtlich keine Nähe zu den links-sozialistischen Konzepte einiger Kibbuzim, die mit ihrem Erziehungs- und Lebensmodell als »Vision eines demokratisch-utopistischen Sozialismus« http://www.zionism-israel.com/city_communes_kibbutz.htm, 15. Juli 2010. auf ein zionistisches Erbe Bezug nehmen. Heute sind es u.a. Gruppen wie Noar Oved ve Lomed, die diesen Gedanken politisch leben und in die Praxis umsetzen. Die Mitglieder dieser Organisation, die aus der traditionellen linken sozialistischen Kibbuz-Bewegung kommen, haben das Konzept insofern verändert, als die Form des gemeinsamen Arbeitens und Lernens nun in sogenannten »urbanen Kommunen« versucht wird. Wenn als einziges Erbe das Land genannt wird, so ist der kritische Ausgangspunkt jedes linken Aktivismus in Israel die Staatsgründung und das bedeutet einen Widerspruch zwischen der radikalen und der traditionellen Linken. Der zitierte Satz wendet sich bewusst von einem vorhandenen Erbe ab, von dem sich die heutige radikale Linke emanzipiert hat oder emanzipieren will: der linke Zionismus. Der Staat Israel spielt hier also nicht die Rolle des positiven Bezugspunktes für die politische Arbeit – ganz im Gegenteil. Antizionismus scheint dabei selten eine Ablehnung der israelischen Gründungsmythen zu bedeuten, deren Gegenstand die zionistischen SiedlerInnenbewegungen sind, die ab 1900 nach Palästina kamen. Die Selbstbezeichnung »antizionistisch« meint vielmehr eine strikte Ablehnung und Leugnung eines jüdischen Anspruchs auf das Land im Nahen Osten. Die Kritik der antizionistischen Linken zielt dabei weniger auf eine Ideologie namens Zionismus als auf historische Kritik ab. http://dieweltohneuns.wordpress.com/2010/06/08/the-neighborhood-bully-oder-warumist-antizionismus-bei-linken-so-popular-2/,1. Juli 2010. Das Narrativ beginnt daher nicht mit dem Yischuw Hebr. »Settlement«. oder etwa mit Theodor Herzl, sondern mit der Staatsgründung und den darauffolgenden politischen Ereignissen – wie u.a. der Nakba, arabisch für »Katastrophe«, die den Beginn des Flüchtlingsproblems bedeutet und das Verhältnis zwischen arabischen und jüdischen Israelis bis heute bestimmt. Folglich macht es mehr Sinn von einer antizionistischen Linken zu schreiben, die auf verschiedene Art gegen die israelische Politik Widerstand leistet. Behauptet der Satz also eine geschichtslose, relativ junge radikale Linke, so geschieht dies nur in Zusammenhang mit dem eigenen antizionistischen Selbstverständnis.
Anarchismus-Marxismus/Zwei-Staaten-Lösung-Ein-Staat-Lösung/Nakba-Soah
Obwohl die antizionistische Linke jung ist und sich eine autonome Bewegung im Vergleich zu (West-)Europa erst spät herausbildete, lässt sich das Bild der selbst zugeschriebenen Geschichtslosigkeit nicht aufrecht erhalten. Klassische linke Themen werden durch die politische Arbeit bestimmt, die sich hauptsächlich an der Besatzung und der Kritik daran festmacht. Trotzdem gibt es eine Auseinandersetzung mit und unter linken Strömungen. Dies zeigt einmal mehr die Geschichte der Linken. Anarchismus ist, und das nicht erst seit mit Anarchists against the Wall das Label »anarchistisch« geradezu zur Metapher für die Bezeichnung linker AktivistInnen wurde, eine theoretische Richtung innerhalb der israelischen Linken. Die Bewegung geht zurück auf erste anarchistische Kibbuzim noch vor der Staatsgründung. Hier wiederum lassen sich Verbindungen zu bereits in Osteuropa gegründeten Bünden erkennen, die relativ bald von den russischen KommunistInnen vertrieben oder in ihrer politischen Arbeit unterdrückt wurden. Ähnlich der anarchistischen Tradition nordamerikanischer Linker blickt diese Tradition auf eine verlorene politische Auseinandersetzung mit den stärkeren KommunistInnen und SozialistInnen in Europa zurück. Jüdische AnarchistInnen emigrierten neben den USA auch nach Palästina.
Marxismus ist, soweit ich dies beurteilen kann, ein Stiefkind theoretischer linker Debatten. Marxistische Gruppen oder die Selbstbezeichnung als KommunistIn findet sich in Israel häufiger unter arabischen Linken. Grundsätzlich scheint es, dass es zwar ein diffuses Verständnis von Antikapitalismus gibt – dieses äußert sich zumindest innerhalb der AktivistInnen-Szene jedoch eher über die Tierrechtsbewegung. Veganismus ist auch Kapitalismuskritik und linksradikaler Ausdruck eines antikapitalistischen Verständnisses.
Politischer Aktivismus macht sich in Israel vordergründig an der ganz konkreten politischen Situation fest und stellt die Frage nach einem zukünftigen Staat Israel bzw. Palästina als einem säkularen Land. War es in den neunziger Jahren noch ein öffentlich-politisch sanktioniertes Tabu, eine zwei-Staaten-Lösung zu fordern, tut dies heute ein Politiker wie Benjamin Netanjahu. Die Linke in Jaffa bzw. in den arabischen Communities Israels – zumeist arabisch-israelische KommunistInnen – tendieren hingegen heute zu einer Ein-Staat-Lösung, was wiederum heute sanktioniert wird und einem politischen Affront gleicht. Eine solche Diskursverschiebung hat schon bezüglich des Begriffs Nakba stattgefunden: war es bis in die neunziger Jahre hinein verboten, den Begriff öffentlich zu verwenden, kann man ihn heute in der Zeitung lesen.
Antisemitismus bedeutet Vernichtung
Die kritische bis ablehnende Haltung gegenüber dem Staat Israel und ein expliziter Antizionismus spielen für die Auseinandersetzung mit Israels radikaler Linke ebenso eine Rolle wie die ausgeprägte Ignoranz gegenüber Antisemitismus. Dass man in Israel mit Antisemitismus nicht konfrontiert ist, mag stimmen. Es stimmt jedoch nicht, dass Antisemitismus, wie behauptet, lediglich ein Politikum ist, welches dem Staat dazu dient, politische Entscheidungen zu legitimieren. Diese Meinung wird häufig angeführt und es scheint, als habe man sich in einer Debatte, besonders innerhalb der radikalen Linken, schon dann diskreditiert, wenn man Antisemitismus oder sogar den Holocaust erwähnt oder als Argument für politisches Handeln anführt. Dies täten in Israel die Rechten. Antisemitismus ist immer wieder ein grundlegender Widerspruch zur konkreten Arbeit der israelischen radikalen Linken. Denn die Frage, was nach dem Erreichen des politischen Ziels, den israelischen Staat abzuschaffen und in Palästina als Minderheit zu leben, geschieht, wird offenbar nicht gestellt. In Gesprächen wird dagegen die immer gleiche Argumentationsstruktur aufgemacht: Antisemitismus sei Propaganda des Staates, Ahmadinedschad sei viel weniger schlimm als von der israelischen Politik behauptet und diene nur dem nationalen Zusammenhalt. Der israelische Staat wird in jeder Hinsicht als Propaganda-Maschine abgetan, doch die Bedrohung ist präsent. Eine Gefahr, die einen selbst und nicht irgendjemanden aus Europa betreffe. Antisemitismus existiere nur gekoppelt an die Shoah als historische Bedrohung, als familiäre Katastrophe und nur als vernichtende Bedrohung. Darüber hinaus wird Antisemitismus mit Nationalismus gleichgesetzt.
Das Vorhaben, über die israelische Linke einen Artikel zu schreiben, hat viele Reaktionen hervorgerufen. Dies ist wohl einer etwas beschränkten Sicht geschuldet, die sich aus verschiedenen Israel-Aufenthalten unterschiedlichster deutscher Linker zusammensetzt. Beschränkt insofern, als vornehmlich der Eindruck entstanden ist, dass sich die israelische radikale Linke ausschließlich anti-zionistisch und vegan gibt und »keinen Bock mehr hat« über die Shoah zu sprechen. Dass die Debatten weiter gehen und die Situation angesichts der realen politischen Situation im Land komplexer sind, überrascht aber nicht.
Ein wesentlicher Unterschied zur politischen Arbeit in einem anderen (europäischen oder westlichen) Land ist, dass in Israel der politische Konflikt vorherrschend ist, der auch die Arbeit der Linken beherrscht. Unabhängig davon, ob man politisch eher zu Breaking The Silence oder Anarchists Against The Wall tendiert, kann es zu Gewalt und Verletzung und auch zu Toten kommen. Solche Bedrohungen sind in Israel weitaus realer als in Ländern, in denen es natürlich Polizeigewalt und Repression gibt, aber kaum Situationen wie die, in der die Mitbewohnerin eines Freundes sagt: »Nein, mir wurde in den Fuss geschossen, der ist nicht verstaucht«.
Ich habe in diesem Artikel versucht, mich mit Israel eben nicht nur abstrakt und im Rahmen deutscher Erinnerungspolitik und Antisemitismuskritik zu beschäftigten, wo die israelische Fahne für diejenigen, die sie schwenken, zum Symbol jenseits des realen Bezugs zum Land Israel wird und für die Provokation deutscher Normalität herhalten muss. Die Unvereinbarkeit allerdings lässt sich relativ bald erkennen: die kritische Auseinandersetzung mit den eigenen nationalen Narrativen bedeutet in Deutschland, dass ein linkes Narrativ durch den Holocaust und den Nationalsozialismus bestimmt ist. Wenn bei einer deutschen Linken der Ausgangspunkt politischer Arbeit Auschwitz und der Nationalsozialismus sind, in Israel hingegen die Staatsgründung, zeigt sich die Unmöglichkeit einer wie auch immer funktionierenden Solidarität. Der Versuch, eigene Vorstellungen und Überzeugungen zu »importieren«, offenbart auf beiden Seiten meist nur das Unwissen übereinander. Falkson bringt es in seinem Artikel in der letzten Phase 2 auf den Punkt, wenn er das Verhältnis der deutschen Linken zum israelischen Zionismus dadurch charakterisiert, dass es Erlösungshoffnungen für den Staat per se Vorschub leiste. Allein in seinem zionistischen Charakter ließe sich also die Bedingung für eine gesicherte Existenz Israels ausmachen. Allerdings, hier stimme ich Falkson ebenso zu, müsse die Möglichkeit gegeben sein, mit der »Palästinafrage verbundene Lösungen in den Blick zu nehmen«. Jorge L. Falkson, Der Holocaust, seine Gedächtnisse und der Palästinakonflikt, in: Phase 2 36, Leipzig 2010, 75, 78.
Antizionismus bedeutet für die israelischen AktivistInnen eine Utopie: den Versuch Antinationales konkret zu denken. Und doch bleibt der Widerspruch bestehen: »Die Tatsache, dass es in Palästina viele nicht-zionistische Kommunen gibt, kann als Beweis dafür gelten, dass die jüdischen Arbeiter, die den verfolgten (...) Juden halfen, dies nicht getan haben, weil sie Zionisten sind, sondern um in Palästina in Frieden Wurzeln schlagen und ihr Leben leben zu können«. Emma Goldman, Emma Goldman's Views, Letter to Spain and The World, in: Richard Vernon (Hrsg.),British Imperialism and the Palestine Crisis: Selections from the Anarchists Journal (Freedom) 1938-1948, London 1989, 24. Emma Goldman, Anarchistin, macht diesen Widerspruch und damit die historische Notwendigkeit deutlich, Antizionismus auch in Israel zu kritisieren.
Von Lois Lenski. Der Autor ist Redaktionsmitglied der Phase~2 Berlin.