Gegen Ende der sechziger Jahre begannen Theoretikerinnen der weniger orthodoxen Linken sich zunehmend bislang als »Nebenwidersprüchen« abgetanen, da im Bereich des Privatlebens liegenden, Themen wie Beziehungs- und Familienstrukturen, Sexismus oder der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung im revolutionären Kampf zuzuwenden. Die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Unterdrückungsstrukturen jenseits der Lohnarbeit schien mehr als überfällig. Mariarosa Dalla Costa nahm 1973 mit ihrer – vielmehr Pamphlet denn akademisch-theoretische Analyse – Schrift Die Frau und der Gesellschaftliche Umsturz in diesem Sinne einen ihrer Meinung nach von Karl Marx vernachlässigten Grundzug kapitalistischer Gesellschaften in den Blick: das Verhältnis von Lohn- und Hausarbeit. Die nahezu ausschließlich von Frauen zu Hause geleistete Arbeit sei, so Dalla Costa, nichts anderes als eine unbezahlte Form von Ausbeutung und bilde durch die von ihr geleistete Reproduktion menschlicher Arbeitskraft eine der unerlässlichen Grundlagen des Kapitalismus.
Die Beschäftigung mit den »Nebenwidersprüchen« während der Sechziger und Siebziger ist mit ihrer Historisierung zur marktgängigen Rede von der sexuellen Befreiung – was immer das heißen mag – auf die mittlerweile völlig sinnentleerte Phrase Das Private ist politisch! zusammengeschrumpft.
Unter dem catchy Begriff der Care-Revolution sind soziale Reproduktion, geschlechtlich stereotypisierte Arbeitsverteilung und feministische Ökonomiekritik in den letzten Jahren jedoch wieder vermehrt in den Fokus linker Diskussionen gerückt. Anfang 2014 haben nun das trouble everyday collective (TEC) mit Die Krise der sozialen Reproduktion wie auch Bettina Haidinger und Käthe Knittler in ihrem Buch Feministische Ökonomie nahezu zeitgleich den Versuch unternommen, eine theoretische Einführung in das Themenfeld zu verfassen. Ausgangspunkt beider Bände ist die von den jeweiligen AutorInnen diagnostizierte Ignoranz der traditionellen Wirtschaftswissenschaften gegenüber dem Geschlechterverhältnis im Allgemeinen und die zunehmende Prekarisierung im Bereich der Reproduktionsarbeit seit der Wirtschaftskrise im Speziellen. Beide Bücher setzen sich zum Ziel, der vornehmlich rein ökonomischen Rezeption der Krise eine dezidiert feministische Perspektive zur Seite zu stellen, die die spezifische Benachteiligung von Frauen in den Blick nimmt.
Die Krise der sozialen Reproduktion des TEC, hervorgegangen aus der Naturfreundejugend Berlin und dem Netzwerk Queerfeminismus & Ökonomiekritik, versteht sich einerseits als Dokumentation der von den AutorInnen untereinander geführten Diskussionen, andererseits als möglichst voraussetzungslose Einführung, um eine weitläufigere Debatte um die Möglichkeiten und Grenzen feministischer Ökonomiekritik anzustoßen. Nach einem bündigen Problemaufriss, der auf die notwendige Wechselbeziehung zwischen Kapitalismuskritik und Feminismus wie auch die akuten Symptome der titelgebenden Krise der sozialen Reproduktion hinweist, liefert das AutorInnenkollektiv eine Entwicklungsgeschichte der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung. Beginnend mit der Zeit des Feudalismus, während der die »Trennung von Reproduktion und Produktion?… noch nicht vollzogen und auch die vergeschlechtlichte Arbeitsteilung?… noch nicht so ausgeprägt« war, gelangen sie über die Phase der »ursprünglichen Akkumulation« im 16. Jahrhundert und die Industrialisierung zur Entwicklung des modernen Kapitalismus. Dabei weisen sie vor allem auf zwei eng miteinander verflochtene Effekte hin: Die Entstehung doppelt freier Lohnarbeiter, die gezwungen sind ihre Arbeitskraft zu verkaufen, um ihre soziale Reproduk-tion gewährleisten zu können, und die Trennung von Produktion und Reproduktion in zwei unterschiedliche gesellschaftliche Spähren, wobei erstere männlich konnotiert und die häusliche Arbeit als dem weiblichen Naturell entsprechend aufgefasst wurde.
Diese Trennung, so zeigen die AutorInnen, wurde mit dem Aufkommen des Fordismus ab den zwanziger Jahren perfektioniert. Die tayloristische Sozialpartnerschaft generierte mit ihren relativ hohen Löhnen neben neuen Absatzmärkten auch den scheinbaren Luxus, von einem einzelnen Gehalt eine komplette Familie finanzieren zu können. Ideologisch legitimiert fiel diese Aufgabe an den Mann, während die Frau »aus Liebe« zu Hause die notwendige reproduktive Arbeit verrichtete. Damit wurden Kleinfamilie und (zumindest weibliche) Monogamie zur Idealvorstellung des Fordismus.
Bettina Haidinger und Käthe Knittler erweitern die materialistische Perspektive der BerlinerInnen um eine wissenschaftsgeschichtliche. Nach einer kurzen Einleitung beginnen sie ihr Buch mit einem sehr lesenswerten Abriss über den Beitrag weiblicher Ökonominnen zur Entwicklung der modernen Volkswirtschaftslehre. Dabei nehmen sie Theoretikerinnen wie Harriet Martineau, Jane Marcet oder die Ehefrau John Stuart Mills, Harriet Taylor Mill, in den Blick, die den Wirtschaftswissenschaften seit ihrer Entstehung im 18. Jahrhundert immer auch eine weibliche Position beisteuerten. Die allerdings, und darin gleicht sie der geschlechtsspezifischen Benachteiligungen von Frauen durch die Ökonomie als solche, wurde vom männerdominierten Wissenschaftsbetrieb bis ins 20. Jahrhundert hinein konsequent unsichtbar gemacht. Nicht zu Letzt deshalb, da die Ökonomie als geschlechtslos definiert wurde, und damit eine die geschlechtlichen Unterschiede kritisierende Theorie als überflüssig erachtet wurde. Um die vermeintliche Geschlechtslosigkeit der Ökonomie zu entzaubern, betrachten auch die beiden Wiener Autorinnen die historische Genese des modernen Kapitalismus genauer: die Neoklassik und ihre Vorstellung vom Homo oeconomicus. Entstanden um 1870 verschob sich mit dem Konzept des Homo oeconomicus der Blick von der Makro- auf die Mikroökonomie und rückte das Individuum in den Fokus. Statt der kollektivistischen Analyse von Klassengegensätzen wurde der rational am transparenten Markt handelnde Einzelne zum zentralen Moment der Ökonomie. Mit dieser Verschiebung trat die Verknüpfung von individuellem Verhalten und gesellschaftlichen Bedingungen ebenso in den Hintergrund wie die kulturelle Selbstverständlichkeit, dass der homo oeconomicus allen Unkenrufen zum Trotz eben doch männlich und auf die geschlechtlich stereotypisierte Verteilung unentgeltlicher Arbeiten der Frau angewiesen ist.
Mit dem aus der Neoklassik hervorgegangenen Neoliberalismus wurden letztlich »Vermarktlichung und Ökonomisierung – das heißt die Ausbreitung der Idee des homo oeconomicus und des Markt-Prinzips in neue Sphären – zum gesellschaftsstrukturierenden Prinzip«, wie Haidinger und Knittler schreiben. Und genau mit diesen Bedingungen sind wir heute konfrontiert: der Schaffung möglichst idealer Voraussetzungen für Unternehmen, der Privatisierung – also der Bereitstellung bestimmter ehemals staatlicher Leistungen durch den Markt – und der möglichst umfassenden Kommodifizierung bislang nicht profitabler gesellschaftlicher Bereiche. Vorausgesetzt wird ein freies, rationales Subjekt, ein ungebundenes Individuum, dessen Zeit der ökonomischen Verwertung beliebig zur Verfügung gestellt wird. Der homo oeconomicus wird hier tatsächlich geschlechtslos, sofern er oder sie nur möglichst flexibel in Erwerbsprozesse eingebunden werden kann.
Etwas einfacher formuliert kommt auch das Berliner AutorInnenkollektiv zu demselben Schluss: Mit dem Neoliberalismus löst sich die ehemalige Trennung von Reproduktion und Produktion auf und das Ein-Ernährer- wird durch das Adult-Worker-Modell ersetzt. Die noch in der Hausarbeitsdebatte der siebziger Jahre geforderte Gleichstellung von Mann und Frau scheint – zumindest auf dem Markt – damit fast erreicht. Im Bereich der sozialen Reproduktion kann davon allerdings nicht die Rede sein. Denn für jene Reste, die nicht an professionelle DienstleisterInnen – zumeist Migrantinnen – delegiert werden könnten, seien nach wie vor die Frauen zuständig. Neben dieser als »rassistisch« und »sexistisch« kritisierten Verteilung von Care-Work, sieht das trouble everyday collective in der fortschreitenden Individualisierung unter dem Neoliberalismus ein weiteres, zentrales Problem. Denn zunehmend werde damit auch die Sorge im sozialen Bereich auf die Einzelnen übertragen. Leider tendiert Die Krise der sozialen Reproduktion wie hier dazu, Behauptungen als vereinfachte Thesen in den Raum zu stellen. Inwiefern in Zeiten von gesetzlich garantiertem Betreuungsanspruch für Kinder ab einem Jahr wirklich »jede_r (…) selbst schauen (soll), wie sie_er die Probleme mit der Sorge um Kinder und Kranke löst«, sei dahingestellt.
Den Ausgangspunkt der heute notwendigen Diskussion um Care-Work sehen beide Bücher in der Hausarbeitsdebatte. Die bezog sich zwar auf den gesellschaftlichen Kontext des Fordismus, forderte aber neben der Emanzipation von der männlichen Abhängigkeit immer auch die Aufhebung des Kapitalismus als solchem. Erstere ist mit ihrer negativen Aufhebung durch den Markt nahezu umgesetzt. Für letztere erkennen Haidinger und Knittler im Anschluss an Frigga Haug, dass der gegenwärtige Standpunkt der Care-Revolution »nicht der einer befreiten Gesellschaft, in der alle nach ihren Fähigkeiten füreinander tätig sind, sondern der Standpunkt einer innerkapitalistischen Reformpolitik« ist. Und zwar insofern, da eben nicht die kapitalistische Verwertung von Lohn- und Care-Arbeit als solche grundsätzlich in Frage gestellt wird, sondern lediglich eine programmatische Leerstelle im Verwertungsprozess aufgezeigt werde.
Leider gelingt es weder Haidinger und Knittler, die ja zumindest die Einsicht in diese Problematik formulieren, noch dem trouble everyday collective daraus schlüssige Konsequenzen zu ziehen. Als Lösungsstrategien schlagen beide Bücher übereinstimmend vor allem das globale und bedingungslose Grundeinkommen sowie die Organisation von reproduktiven Aufgaben in Commons vor. Da ließe sich einwenden, dass Ersteres an der warenförmigen Ausrichtung der gesellschaftlichen Produktion kaum etwas ändern wird und Letzteres zur Selbsthilfe unter prekären Verhältnissen tendiert.
Nun geht es beiden Büchern nicht darum, eine endgültige Welterklärung zu verfassen, sondern eine Einführung in die feministische Ökonomiekritik zu liefern und, im Falle des Berliner Kollektivs explizit formuliert, weiterführende Debatten anzustoßen. Ein Anspruch, den beide ganz gut erfüllen.
Lukas Böckmann
trouble everyday collective: Die Krise der sozialen Reproduktion. Kritik, Perspektiven, Strategien und Utopien, Unrast, Münster 2014, 78 S., € 7,80.
Bettina Haidinger / Käthe Knittler: Feministische Ökonomie, Mandelbaum, Wien 2013,168 S., € 12.