Der Kalte Krieg war auch eine Zeit der Begriffe. In seinen Begriffen verdichtete sich die Ideologisierung des Blockgegensatzes, und mittels ihrer wurden die politischen Widersprüche und Kämpfe ausgetragen. Anson Rabinbach macht diesen Zusammenhang in seinem Buch Begriffe aus dem Kalten Krieg. Totalitarismus, Antifaschismus, Genozid explizit, während Jan Korte in Instrument Antikommunismus. Sonderfall Bundesrepublik eine deutsche Besonderheit des Kalten Krieges und des Totalitarismusbegriffs herausarbeitet – den Antikommunismus.
Beiden Arbeiten ist die Absicht gemein, den gesellschaftspolitischen Kontext zentraler Begriffe und den damit verbundenen politischen Strategien offenzulegen. Sowohl der amerikanische Historiker Rabinbach als auch der deutsche Politiker Korte nehmen jenen Begriffen ihre politische Unschuld, indem sie ihre Kontexte beleuchten, ihre Wandlungen und ihren jeweiligen strategischen Einsatz. Damit sind sie nicht als Kategorien einer scheinbar objektiven Analyse zu verstehen, sondern als politische Instrumente. Und damit sind ihnen auch der politische Gehalt sowie der historische Kontext eingeschrieben.
Das Buch Anson Rabinbachs beinhaltet drei seiner Vorträge als Gastprofessor am Jena Center Geschichte des 20. Jahrhundert sowie ein Interview, das Christina Morina und Boris Spernol mit ihm führten. Im ersten Text verfolgt er die Genese des Totalitarismusbegriffs und führt aus, dass dieser den politischen Konjunkturen und historischen Konstellationen entsprechend einer stetigen Wandlung unterlag. Während er in den dreißiger Jahren fast ausschließlich zur Kennzeichnung und Analyse des Nationalsozialismus gebraucht wurde, markierte der Hitler-Stalin-Pakt von August 1939 den Beginn einer Verschiebung. Nun wurde sich über den Begriff den Gemeinsamkeiten von Kommunismus und Nationalsozialismus genähert. Auch wenn mit dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 dieses Konzept zunächst auf Eis lag, wurde nach 1945 der Vergleich wieder stark gemacht, diesmal jedoch als Gegenbegriff zum Liberalismus. Spätestens in den sechziger Jahren hätte sich das Konzept theoretisch endgültig desavouiert, so Rabinbach. Sein Renaissance nach 1989 sei purer Anachronismus: »Es besteht nämlich die Gefahr, dass die Rückkehr des Totalitarismus eine nostalgische Sehnsucht nach klaren Grenzen zwischen Freund und Feind nährt. Als theoretisches Bild bleibt der Totalitarismus heute so missverständlich wie in der Vergangenheit. Als historisches Konzept ist er aufgrund der Unterschiede, auf die er hinweist, viel interessanter als aufgrund der Ähnlichkeiten, die er offenlegt«. (25)
Auch der Antifaschismus, so der zweite Text des Buches, besitzt keine begriffliche Eindeutigkeit. Man müsse unterscheiden, »zwischen dem offiziellen Antifaschismus der Komintern, dem Antifaschismus lokaler Initiativen, dem der Intellektuellen im Exil und dem nichtkommunistischer Widerstandsgruppen«. (29f)
In der Frühphase des Antifaschismus (1920–1933) bezogen sich völlig verschiedene gesellschaftliche Kreise auf diesen Begriff: RepublikanerInnen, KommunistInnen und selbst die Kirche. Ab 1933 bekam er jedoch eine entscheidende Wendung. Als Begriff der Komintern und damit der Sowjetunion wurde er zum Legitimationsbegriff stalinistischer Herrschaft, etwas, das sich besonders nach 1945 auswirkte. Gleichzeitig wurde er jedoch ebenso zum heroischen Gesamtbegriff für den Kampf des Guten gegen das Böse, kristallisiert im Spanischen Bürgerkrieg 1936–1939. Der Antifaschismus ist beide Bedeutungen nicht mehr losgeworden und wird je nach politischer Lesart auch heute noch entweder in die eine oder die andere Richtung aufgelöst. Diese Ambivalenz sei in der Genese des Begriffs angelegt und könne ihr nicht entrissen werden, so Rabinbach und somit könne gleichfalls »der Antifaschismus als Ideologie und staatlich sanktionierte Erinnerung nie völlig getrennt von diesem Erbe betrachtet werden«. (41)
Im dritten Text zum »Genozid« und im anschließenden Interview arbeitet Rabinbach vor allem die Verbindung von historischer Erfahrung und der Entwicklung theoretischer Konzepte heraus. Am Beispiel Raphael Lemkins Einsatz für die Genozid-Konvention der Vereinten Nationen und der theoretischen Arbeiten der Denkschule rund um die Zeitschrift New German Critique exemplifiziert er, wie die individuellen Erfahrungen mit Nationalsozialismus und Holocaust zur Ausprägung bestimmter Begriffe geführt haben.
Jan Korte, Mitglied der Bundestagsfraktion Die Linke, nimmt eine andere Perspektive als Rabinbach ein. Er beschreibt den Antikommunismus als spezifisch deutschen Aspekt des Totalitarismusbegriffs. Er untersucht dabei seine historischen Wurzeln in der Weimarer Republik und dem Nationalsozialismus und sein Wirken bis in die heutige Zeit hinein. Sein Hauptaugenmerk liegt jedoch auf der »restaurativen Phase« der fünfziger und sechziger Jahre.
Der Antikommunismus der frühen Bundesrepublik erfüllte vor allem zwei Funktionen: Die Abwehr der nationalsozialistischen Vergangenheit und die Delegitimierung fortschrittlicher Gesellschaftsmodelle. Ein-
drucksvoll rekapituliert er dabei die KommunistInnenverfolgung der ersten zwei Jahrzehnte der Bundesrepublik, als alte Nazikader wieder in ihre Stellen eingesetzt, KommunistInnen jedoch verfolgt, sozial geächtet und verurteilt wurden. Es gab bis 1968 siebenmal mehr Verurteilungen von KommunistInnen, die sich zumeist lediglich »Propagandadelikten« schuldig gemacht hatten, als Verurteilungen von NazitäterInnen, die in Mord, Unterdrückung und Vernichtungskrieg involviert waren. Besonders perfide war die ständige Situation, dass alte Nazirichter KommunistInnen verurteilten, gesteigert noch einmal 1951, als jedwede Nähe zu kommunistischen Organisationen oder Ideen zum Entzug der Entschädigungszahlungen für die Leiden während des Nationalsozialismus führten. In der legislativen und administrativen Praxis als auch in der antikommunistischen Propaganda wurden den KommunistInnen nicht nur ihr Opferstatus abgesprochen, sondern sie zu gefährlicheren Verbrecher-Innen als die Nazis stilisiert.
Ein Verdienst Kortes ist es, auf den Zusammenhang von Antikommunismus, Antisemitismus und Naziideologie hinzuweisen. Auch wenn seine Ausführungen insgesamt theoretisch dürftig und redundant sind, sind seine Beschreibungen jedoch treffend. Die Rede vom »Jüdischen Bolschewismus« der Nazis wird heutzutage fast vollständig zum »Jüdischen« hin aufgelöst, als wenn der »Bolschewismus« nur Anhängsel oder Verschleierung sei. Der Antikommunismus der Nazis ist vom Antisemitismus jedoch nicht zu trennen, er bedient die gleichen Ängste, baut auf denselben Projektionen auf und besitzt eine ähnliche Struktur.
Der Antikommunismus der frühen Bundesrepublik, so Kortes Hauptargument, habe der Demokratie erheblichen Schaden zugefügt und ist bis heute jederzeit abrufbares Instrument revisionistischer und nationalsozialistischer Ideologie. Eine Revision der skandalösen KommunistInnenverfolgung jener zwei Jahrzehnte ist jedoch bis heute in Gesellschaft und Bundestag unmöglich.
Beide Autoren nähern sich ihren Themen über die Begriffe, wobei Rabinbach mehr die Genese des Begriffs, Korte hingegen eher dessen instrumenteller Charakter und dessen Praxis interessieren. Mit der Historisierung glaubt Rabinbach die Begriffe gleich mit entsorgen zu können, weil sie einer fremden Zeit entsprängen und damit ihre Gültigkeit verloren hätten. »Heute aber können wir beginnen, ohne diese ideologischen Altlasten über die Geschichte des 20. Jahrhunderts nachzudenken. Wir können darüber reden, was es historisch bedeutete, wenn jemand den Begriff Totalitarismus gebrauchte, weil der Begriff an sich keine Relevanz mehr hat«. Kortes Kontextualisierung hingegen verweigert sich dieser Logik implizit. Sein Buch zeigt, dass der Begriff mit einer Praxis korreliert und als Instrument dienen kann und dass damit das Ende des Kalten Krieges nicht das Ende des Begriffs samt seines Inhalts bedeutet.
Rabinbach hingegen trennt den Begriff vom Inhalt, betrachtet ihn lediglich als Beschreibung und verliert damit über die inhaltliche Dimension der von ihm behandelten Begriffe kaum ein Wort. Die Begriffe Totalitarismus und Antifaschismus entsprangen einer historischen Situation, als sich die Vorstellung aufdrängte, die Welt falle dem Faschismus anheim bzw. einer politischen Konfiguration, die mit dem Begriff des totalen oder totalitären Staates beschrieben wurde. Dass es vor allem Jüdinnen und Juden bzw. EmigrantInnen wie Hannah Arendt, Max Horkheimer, Richard Löwenthal, Ernst Fraenkel oder Franz Neumann waren, die den Begriff prägten, ist für das Verständnis von entscheidender Signifikanz. Folgerichtig kann er nichts sagen, über die Relevanz des Antifaschismus als strategische Klassifizierung oder die Aktualität des Totalitarismus. Der Begriff des »islamistischen Totalitarismus« ist ihm lediglich die Bemerkung wert, dass er anachronistisch sei. Damit entzieht er sich jeder kritischen Diskussion, die den Begriff einsetzt, um über mögliche Tendenzen der modernen (bürgerlichen, kapitalistischen) Gesellschaft, ihren Verwerfungen, ihrer Grenzen und ihrer möglichen Verteidigung nachzudenken.
Jan Korte bietet kaum Analysen, dafür jedoch die Betonung der Aktualität von Geschichte und einen dezidierten Standpunkt. Der politische Standpunkt von dem aus er argumentiert, ist die Verteidigung der Ideen eines demokratischen Sozialismus. Dies macht die Position verständlich, führt aber auch zu Beschränkungen der Art, dass er bekenntnishaft Demokratie verteidigt, sich aber zu keiner Verteidigung des Kommunismus durchringen kann.
Trotz ihrer partiellen Schwächen bieten beide Bücher jedoch einen kurzen und prägnanten Einblick in die Begriffsgeschichte des Kalten Krieges und die Verbindung von Begriff und Kontext.
~Von David Schweiger.
Jan Korte: Instrument Antikommunismus. Sonderfall Bundesrepublik, Karl Dietz Verlag, Berlin 2009, 128 S., € 9,90.
Anson Rabinbach: Begriffe aus dem Kalten Krieg. Totalitarismus, Antifaschismus, Genozid, Wallstein