Hochschulpolitik ist in der linken Publikationslandschaft bisher nicht mehr als ein Nischenthema. Das erscheint ein wenig erstaunlich, angesichts der offensichtlichen Bedeutung der Hochschulen als soziale und sozialisierende Orte für Linke. Unter dem Titel Das Elend der Universitäten ließe sich allerhand subsumieren. Zum Beispiel jene denkbar unkritische Haltung der akademischen Gemeinde zum staatlich finanzierten Wissenschafts- und Lehrbetrieb, dessen Auftrag zur Eliten- und Wissensproduktion so häufig als »Freiheit von Wissenschaft und Lehre« fehlinterpretiert wird. Oder aber, schließlich ist der Titel des Bandes Marx entlehnt, das ganz spezifische »Elend« der Hochschullaufbahn, einem Lohnarbeitsverhältnis mit schwindendem Sozialprestige, prekärer werdenden Reproduktionsbedingungen und objektiv schrumpfenden produktiven Nischen.
Dagegen haben die Herausgeberin und die beiden Herausgeber einen vergleichsweise engen Fokus gewählt: Im Mittelpunkt ihrer Analyse steht der aktuelle semantische und strukturelle Umbau des Hochschulsystems der BRD, gemeinhin als »markt-« bzw. »neoliberal« apostrophiert. Das vorangestellte Bekenntnis, der Band sei, in ZeugInnenschaft einer bereitwilligen »Selbstkannibalisierung« der Universität, mehr oder weniger im Affekt entstanden, ist emphatisch höchst nachvollziehbar. Das für eine Analyse notwendige Zurücktreten von der Perspektive persönlicher Betroffenheit ist den HerausgeberInnen aber nur teilweise geglückt. Zwar wird im Geleitwort mit der »feudalistischen Zeitkapsel der deutschen Universität« ein aussagekräftiges Bild für die auch nach 1968 ungebrochene innere Verfasstheit der deutschen Hochschulen zitiert. Auch die These von der »spezifischen Betriebsblindheit der westdeutschen ProfessorInnenschaft« gegenüber den Phänomenen der Globalisierung und Urbanisierung erscheint als Erklärung für die fast sprachlose Hinnahme des, Mitte der neunziger Jahre begonnenen, Hochschulumbaus zumindest ausbaufähig. Im Grunde bleiben die zwei Grund-prämissen des Bandes, (a) die 68er Bildungsreform hätte ein Potential zur »gesellschaftsverändernden Praxis« besessen und (b) diese Hoffnung werde durch den »gegenwärtigen neoliberalen Reformdiskurs« nunmehr nachhaltig zerstört, jedoch weitgehend unhinterfragt.
Stattdessen entsteht der Eindruck, die jüngere Hochschulgeschichte der BRD sei hauptsächlich vom verlorenen Kampf der aufrechten kritischen ProfessorInnenschaft gegen die Zudringlichkeiten von Bertelsmann-Stiftung und GATS (General Agreement on Trade in Services) charakterisiert. Dazu trägt nicht zuletzt die Komposition des Bandes bei: Das Elend der Universitäten besteht zu einem großen Teil aus Abschiedsvorlesungen verschiedener »68er«-ProfessorInnen. Angesichts der sprichwörtlichen Dominanz »Ehemaliger« stellt sich zwingend die Frage, ob wirklich nur diese zur Analyse des Elends etwas beizutragen haben.
Dass sie etwas zu sagen haben, steht freilich außer Frage. So ist mit der Abschiedsvorlesung Bodo Zeuners eine überaus informative Rückschau auf den managementmäßigen Umbau der FU Berlin unter der thatcherschen Propagandaformel »There Is No Alternative« dokumentiert. Plastischer kann eine kritische Einführung in das marktliberale Denken kaum geraten. Als ebenfalls bereichernd erweist sich ein Beitrag von Maria Mies, der eine (differenz-)feministische Perspektive auf das »Elend« öffnet. Leider hinterlässt die Lektüre einen schalen Nachgeschmack, da sich die Autorin nicht auf eine Analyse der (nach wie vor) geschlechterhierarchischen Verfasstheit von Hochschule beschränkt, sondern »Frauen, Kinder und die Natur« per se zu den Opfern des »phallokratischen Konkurrenzgehabes« von »Rambo-Männern« und »Herrn Bush« stempelt. Und die Geduld des Lesenden wird noch einige Male mehr strapaziert, wenn von »Heuschreckengefahr« (Heidrun Abromeit), »Fast-Food-Wissenschaft« (Elmar Altvater) oder »Freilachen« (Astrid Albrecht-Heide) die Rede ist; zumal sich der rote Faden Hochschule dabei häufig unmoderiert im big picture Kapitalismuskritik verliert. Ein, in Anbetracht der teilweise grobschlächtigen Machart dieser Kritik, entstehendes Unbehagen verdichtet sich im Laufe der Lektüre schließlich zum Gefühl der Erleichterung darüber, dass die meisten der AutorInnen eben doch dem »Ehemaligenverein« angehören. Daran vermögen auch gedanklich-rhetorische Lichtblicke, wie der Beitrag Heinz Steinerts oder ein Interview mit Wolfgang Neef nichts zu ändern.
Fazit: Dass die HerausgeberInnen sich des bisher von der linken Publizistik weitgehend vernachlässigten Themas Hochschule angenommen haben, ist in jedem Falle positiv. Zur kritischen Einführung erscheint der Band durchaus tauglich. Mehr als eine, in ihrer Kritik am Phänomen des Neoliberalismus haftende, Analyse gibt Das Elend der Universitäten jedoch nicht her.
Jens Sambale/Volker Eick/Heike Walk (Hrsg.): Das Elend der Universitäten. Neoliberalisierung deutscher Hochschulpolitik, Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster 2008, 237 S., € 24,90.
HENNING SCHULZE