Arabischer Antisemitismus, Islamismus und der NS

Eine kritische Antwort auf den Text »europäischer und arabischer Antisemitismus« von Volker Weiss in der Phase 2.07

Spätestens seit dem Ausbruch der sogenannten »Al-Aksa-Intifada« und dem Anschlag auf das World Trade Center wird auch innerhalb der deutschen Linken der arabische Antisemitismus diskutiert. Dabei stehen sich in der Regel zwei Interpretationsmodelle gegenüber: Während einerseits die These aufgestellt wird, der arabische Antisemitismus sei vor allem eine Kopie des europäischen Antisemitismus, der durch die Kolonialisierung des Nahen Ostens seinen Einzug in die arabische Welt gefunden habe(1), wird andererseits aus antideutschen Kreisen vielmehr eine Kontinuität des arabischen Antisemitismus behauptet, welche schon im Koran feststellbar sei(2).

Beide Erklärungsansätze erscheinen wenig differenziert. Somit ist der von Volker Weiß vertretenen These, dass eine Analyse des Antisemitismus »Analogien benennen und Differenzen wahrnehmen« müsse, durchaus einleuchtend. Es sollte unstrittig sein, dass für die Untersuchung des arabischen Antisemitismus die Analyse des Nahostkonfliktes notwendig ist – vor allem dann, wenn es darum geht, Aussagen über die palästinensische Gesellschaft zu treffen. Denn selbstverständlich müssen die jeweiligen Gesellschaften immer auch vor ihrem politischen Kontext bewertet werden. Dennoch begibt sich Volker Weiß trotz aller gegensätzlichen Beteuerungen in die Gefahr, Antisemitismus in der arabischen Welt vor allem als rationale »Antwort« auf die zionistische Einwanderung bzw. die Politik der verschiedenen israelischen Regierungen zurückzuführen. So schreibt er, dass der arabische Antisemitismus auf »tatsächliche politische und soziale Konflikte« verweisen könne, während »zu keinem Moment der verschiedenen Phasen europäischer Judenverfolgung (...) die christlichen Verfolger mit einem Staat oder einer tatsächlichen jüdischen Autonomie konfrontiert« gewesen seien. Volker Weiß ist sich der Problematik seiner Aussagen bewusst, wenn er feststellt, dass »Antisemitismus zwar (...) dieser Bestätigung« nicht bedürfe, weil »er ohne empirische Juden« auskomme.

Wenn dem so ist und sich die Entstehung des Antisemitismus eben nicht an der Politik der Israelis bzw. der zionistischen Einwanderung festmachen lässt, bleibt die Frage, welchem Zweck der Verweis auf eben diese dient. So lässt sich feststellen, dass sich der Antisemitismus in der arabischen Welt momentan vor allem als offener Hass gegen Israel äußert und der Nahostkonflikt dabei als Chiffre fungiert. So richtig es also einerseits ist, auf die Realitäten im Nahen Osten hinzuweisen, so fraglich bleibt ein solcher Verweis jedoch im Bezug auf die Erklärbarkeit des Antisemitismus.

Problematisch erscheint dies sowohl vor dem historischen Hintergrund als auch im Bezug auf den Antisemitismus der Islamisten. Bereits in den zwanziger Jahren kam es zu antisemitischen Ausschreitungen im Mandatsgebiet Palästina. So wurden 1929 in Hebron 60 religiöse, antizionistische Juden und Jüdinnen von einem aufgehetzten Mob ermordet. Schon in dieser frühen Phase des Konfliktes vermischten sich Antizionismus und moderner Antisemitismus, die Kritik an der zionistischen Einwanderung wurde nicht selten mit generellen Angriffen gegen »die Juden« verbunden. Letztlich scheint jedoch auch Volker Weiß den Antisemitismus in den arabischen Staaten vor allem als instrumentell zu begreifen, wobei er dazu neigt, die ideologische Ebene weitestgehend auszublenden. Sowohl seine These, dass es den arabischen Revisionisten im Gegensatz zu den deutschen vor allem um die Delegitimierung der Existenz Israels gehe, als auch seine Analyse der Kollaboration arabischer »Führer« mit dem NS-Regime, die Weiß vor allem als von »politischen Interessen« geleitet begreift, reihen sich in diese Sichtweise ein. Eine generelle ideologische Übereinstimmung, die möglicherweise auch Treibkraft für diese Zusammenarbeit war, erscheint bei ihm lediglich als Begleiterscheinung und die Lösung letztlich auch für ihn in der Beendung des Nahostkonfliktes zu liegen.

An der Zusammenarbeit zwischen dem Mufti von Jerusalem und der ägyptischen Muslimbruderschaft mit den Nationalsozialisten lässt sich verdeutlichen, welche ideologischen Gemeinsamkeiten zwischen NS-Ideologie und dem gerade im Entstehen begriffenen islamischen Fundamentalismus existieren und in welchem Ausmaß die Kooperation stattfand.

 

Die deutsch – arabische Kooperation im NS

Die wohl bekannteste Einzelperson in diesem Kontext ist Haji Amin el-Husseini, der 1920 zum Mufti von Jerusalem ernannt wurde. Bereits im März 1933 nahm er Kontakt zum nationalsozialistischen Deutschland auf. Noch im selben Monat sendete Wulf, der deutsche Generalkonsul von Jerusalem ein Telegramm nach Berlin, in dem er die Begeisterung des Muftis über das neue Regime in Deutschland schilderte: »Mufti machte mir heute eingehende Ausführungen, daß Mohammedaner innerhalb und außerhalb Palästinas neues Regime in Deutschland begrüßen und Ausbreitung faschistischer antidemokratischer Staatsführung auf andere Länder erhoffen. Jetziger jüdischer Einfluß auf Wirtschaft und Politik sei überall schädlich und zu bekämpfen (...)«(3)

Während der Mufti einerseits hoffte, die Achsenmächte für die Unabhängigkeitsbestrebungen der Araber voranzutreiben und die zionistische Einwanderung nach Palästina zu stoppen, beteiligte er sich gleichzeitig an der Vermittlung einer ideologischen Annäherung zwischen Islam und Nationalsozialismus. Immer wieder betonte er, dass es mit »den Juden« einen gemeinsamen Feind zwischen Arabern und Nationalsozialisten gebe, der eine Zusammenarbeit erfordere.

Die antisemitische Agitation des Mufti fiel im britischen Mandatsgebiet Palästina auf fruchtbaren Boden, so konnte er sich auf eine stetig anwachsende Zahl von UnterstützerInnen verlassen. Zwischen 1936 und 1939 wurden in den von »Mufti-Banden« kontrollierten Gebieten neue Kleiderordnungen und Schariagerichte eingeführt. Es kam zu willkürlichen Gewalttaten, Bedrohungen und Erpressungen gegenüber jüdischen SiedlerInnen und palästinensischen DorfbewohnerInnen.

Deutschland wurde ab 1941 zum Aktionszentrum des Muftis. In Berlin errichtete er das »Büro des Großmufti«, von dem aus verschiedene Aufgaben wie Propaganda, Spionage und die Aufstellung von militärischen Einheiten der Moslems in den von den Achsenmächten besetzten Gebieten organisiert wurden. 1942 ergänzte er seine Tätigkeiten in Deutschland in seiner Funktion als Leiter des Islamischen Zentral-Instituts in Berlin, welches überwiegend mit der Ausarbeitung nationalsozialistischer Propaganda für die Muslime weltweit beschäftigt war. Schon in seiner Eröffnungsrede erklärte der Mufti, dass »in England sowohl wie in Amerika (...) nur der jüdische Einfluß« herrsche, »der hinter dem gottlosen Kommunismus« stehe und betonte: »Die eingefleischtesten Feinde der Muslime sind die Juden und ihre verbündeten Engländer, Amerikaner und Bolschewisten.«(4) Anhand dieser Aussagen werden bereits zwei Elemente deutlich, die für die Agitation des Muftis zentral waren:

Der antisemitische Verschwörungswahn, nachdem »die Juden« die Welt (vor allem Amerika) beherrschen würden, sowie der explizite Antikommunismus waren ein wichtiges Bindeglied zwischen islamisch-arabischem Antisemitismus und der NS-Ideologie.

Sowohl der Mufti als auch seine Begleiter nahmen an Besichtigungen von KZs teil und waren somit über die Vernichtungspolitik gegenüber Juden und Jüdinnen informiert und befürworteten diese.

Doch er blieb nicht nur Zuschauer und Agitator, sondern griff aktiv in den Prozess der »Endlösung« ein. 1943 forderte el-Husseini den bulgarischen Außenminister auf, die geplante Auswanderung von 4000 jüdischen Kindern und 500 erwachsenen Begleitern nach Palästina zu unterbinden. Er schaltete sogar die deutsche und italienische Regierung ein, um zusätzlichen Druck auf Bulgarien auszuüben, in dem er ihnen erklärte, dass »die Araber in der Auswanderung der Juden nach ihren Ländern eine Bedrohung ihrer Lebensinteressen« sehen würden.

Nicht nur der Mufti sah eine Verbindung zwischen dem von ihm vertretenen Antisemitismus und dem Vernichtungsprogramm der Nationalsozialisten. Auch der deutsche Botschafter in Spanien, von Stohrer, betonte in seinem »Islam-Programm«(5) die Überschneidungen zwischen nationalsozialistischer Weltanschauung und islamischen Grundsätzen. Er forderte deshalb, »ein auf die Gewinnung der islamischen Welt eingestelltes Programm auszuarbeiten«, welches dann insbesondere auch in Ägypten zum Einsatz kam.

 

In Ägypten nichts Anderes

Natürlich ist es problematisch, den Antisemitismus auf die Person des Muftis zu projizieren und von dort auf die palästinensische Gesellschaft zu übertragen, deshalb soll im folgenden noch ein Blick auf die 1926 in Ägypten gegründete Muslimbrüderschaft geworfen werden.

Hier lässt sich besser nachvollziehen, wie sich aus einer kleinen, irrelevanten Gruppe eine Massenbewegung entwickelt, deren islamistische und antisemitische Ideologie sich schließlich auf weite Teile der ägyptischen Gesellschaft ausweitete und diese bis heute durchdringt.

Der Prediger Hassan al-Banna und sechs Mitarbeiter der Suez Kanal Company waren die ersten Mitglieder einer sich als avantgardistisch islamistisch begreifenden Vereinigung, die erst ihren Siegeszug im zerrütteten Ägypten antrat und später Ableger in fast allen Staaten des Nahen Osten hatte.

Im Jahre 1948 verfügte die Muslimbruderschaft bereits über 500000 Mitglieder, 2000 Untergruppen und schätzungsweise 500000 SympathisantInnen.(6) Zudem verfolgte die Brüderschaft das Ziel eine »islamistische Internationale« aufzubauen, hierzu wurden in Kairo und anderen Universitätsstädten gezielt ausländische Studenten angeworben, die dann später in ihren Heimatländern Zweigstellen begründeten. Auch die palästinensische HAMAS ist ein solcher Ableger.

Neben der Beseitigung der parlamentarischen Demokratie und der Abschaffung aller Parteien zugunsten einer Staatsordnung auf Grundlage von Scharia und Kalifat war später der Antisemitismus ein weiterer zentraler Aspekt in der Ideologie der Muslimbruderschaft. Bis zum Höhepunkt der faschistischen und nationalistischen Bewegungen in Europa Mitte der dreißiger Jahre war das gesellschaftliche Leben zwischen Juden und Ägyptern entspannt, die Jüdinnen und Juden waren im vollen Umfang am öffentlichen Leben beteiligt und unterlagen keinerlei Berufseinschränkung. Dies änderte sich, als Nazideutschland massiv bei der ägyptischen Regierung intervenierte und einen Boykott des ägyptischen Baumwolleexportes androhte. Die ägyptische Regierung versprach, die Maßnahmen gegenüber Juden und Jüdinnen zu verschärfen und auch große Teile der ägyptischen Presse begannen jene als Zerstörer der ägyptischen Ökonomie darzustellen. Zu diesem Zeitpunkt jedoch war die Sympathie, die die ägyptische Öffentlichkeit für Nazideutschland hegte in erster Linie antibritisch motiviert. Doch dies änderte sich in dem Maße, indem die Muslimbruderschaft mehr an Einfluss gewann.

Als sich die Brüderschaft 1936 dem vom Mufti ausgerufenen Generalstreik gegen die jüdische Einwanderung mit einer fanatischen Solidaritätskampagne anschloss, in der sie den Gedanken des Djihad mit den Auseinandersetzungen in Palästina verband, wurde sie innerhalb kürzester Zeit zu einer Massenbewegung. Im Weiteren boykottierte die Bruderschaft jüdische Waren und Geschäfte, denunzierte Jüdinnen und Juden und verdrängte sie langsam aber sicher mit Hilfe der Regierung aus einflussreichen Positionen. Auch wurde die Zusammenarbeit zwischen dem Mufti und der Muslimbruderschaft immer intensiver. Beide stellten den Palästina-Konflikts in einen islamistischen und panarabischen Kontext, in dem EngländerInnen und JüdInnen als Feindbild dienten.

Nachdem das Naziregime zerschlagen war, blieb der Antisemitismus in Teilen der ägyptischen Gesellschaft verhaftet. Mit der Gründung des israelischen Staates aus der Konsequenz des Holocaust, äußerte er sich oft auch unter dem Deckmantel des Antizionismus. Die Akzeptanz des Antisemitismus war inzwischen sogar so weit gewachsen, dass Nazifunktionäre nicht nur Unterschlupf in Ägypten fanden, sondern den jungen Nationalstaat mitgestalten und ihren Kampf gegen das »Weltjudentum« fortsetzen konnten. So organisierte (als ein Beispiel unter vielen!) der SS-Standartenführer Leopold Gleim in Ägypten unter dem Namen Ali al-Nacher den Aufbau der Geheimpolizei und überwachte im Auftrag der Regierung die ägyptischen JüdInnen. Louis Heiden (Reichssicherheitshauptamt) übersetzte »Mein Kampf« ins arabische und sorgte für die Verbreitung unter den ägyptischen Offizieren und in andere arabische Länder.

Auch wenn die Muslimbruderschaft im heutigen Ägypten, bedingt durch die Verfolgung, der sie zwischen 1954 und 1970 von Seiten der Nasser-Regierung ausgesetzt waren, über weniger gesellschaftlichen Einfluss verfügt, als zu ihrer Blütezeit, lässt sich feststellen, dass sie zum Zwecke der antisemitischen Agitation nicht länger notwendig ist. Nicht nur die Ausstrahlung der Fernsehserie »Knight without a Horse«, die auf den Protokollen der Weisen von Zion basiert, zeigt, dass Antisemitismus in Ägypten inzwischen traurige Selbstverständlichkeit ist, sondern auch die in Teilen antisemitisch motivierten Massendemonstrationen gegen den derzeitigen Krieg im Irak, bei denen einmal mehr die Theorie der jüdischen Weltverschwörung bemüht worden ist.

 

Ideologische Überschneidungen

Als wesentliche Klammer für die ideologischen Überschneidungen zwischen Nationalsozialisten und Islamisten fungierte der rigide Antikommunismus. Weitere Berührungspunkte wurden von beiden Seiten im Monotheismus, den Vorstellungen von Kampf und Gemeinschaft, dem Verhältnis zu den Juden sowie in den jeweiligen wirtschaftlichen Konzepten gesehen. Der Mufti erhob den Monotheismus, womit er die »Einheit der Führung« meinte, zur Grundprämisse des Islam. Auch die Muslimbrüderschaft war streng nach dem Führerprinzip ausgerichtet. Für die »Idee des Islam« solle jeder, der die Kraft und die Möglichkeit besitze, zu kämpfen bereit sein. Sowohl für die Anhänger des politischen Islam als auch für Nazis bedeutete dieser Kampf die völlige Selbstaufopferung für eine »höhere Sache«. Jedem, der im Kampf falle, werde eine besondere Ehre zu teil. Eine weitere Verbindung sahen beide Parteien in der Rolle der Gemeinschaft. So gelte auch für den Islam das für die NS-Volksgemeinschaft bestimmende Paradigma des »Gemeinnutz vor Eigennutz«.

Der Einzelne soll sich demnach ganz dem Dienst einer übergeordneten Gemeinschaft verpflichten. In diesem Kontext ist auch die Vorstellung von Arbeit wichtig. In beiden Weltbildern spielte die körperliche Arbeit als konkretes, als Prinzip des »schaffenden Kapitals«, nicht nur eine entscheidende Rolle für die wirtschaftlichen Vorstellungen, sondern damit einhergehend einen wesentlichen Bestandteil der antisemitischen Ideologie. In Deutschland hat dieser Arbeitsbegriff eine lange Geschichte, bei dem »der Jude« mit dem vermeintlich »unproduktiven«, »raffenden« Kapital identifiziert wurde, wie Andrea Woeldike und Holger Schatz dargelegt haben.(7)

Diese ideologischen Schnittpunkte thematisiert auch Matthias Küntzel im Bezug auf das Programm der Muslimbrüder. In der Charta der palästinensischen islamistischen HAMAS, die derzeit als wichtigster Gegenpol zu jeglicher Verhandlungsbereitschaft palästinensischer Nationalisten fungiert, ist die Rede von der Verschwörung des »Weltzionismus«. Sowohl hinter der französischen Revolution als auch der kommunistischen Revolution werden ganz wie im Weltbild der Nationalsozialisten »die Juden« vermutet.

Es sollte deutlich geworden sein, dass es vor allem bei den Islamisten Strömungen gibt, die sich in die Nähe nationalsozialistischer Weltanschauung begeben. Deshalb ist wenig damit gedient, diese Zusammenarbeit lediglich als »strategisch« bzw. vor dem Hintergrund des Konfliktes zwischen zionistischer Einwanderung und arabischem Nationalismus zu begreifen. Dass für den arabischen und später den palästinensischen Nationalismus Antizionismus und Antisemitismus konstituierend waren, heißt nicht, dass sich diese lediglich als Reaktion auf den Zionismus bewerten lassen.

Auch heute zeigen sich Ansätze zur Kooperation zwischen Nazis, arabischen Nationalisten und Islamisten. In Berlin sorgte etwa im Oktober eine Veranstaltung der islamistischen Gruppierung Hisb ut Tahrir für einen kleinen Skandal, da an der Diskussion der NPD-Vorsitzende Udo Voigt und Horst Mahler teilgenommen hatten. Der NPD-Anwalt Horst Mahler sollte übrigens bereits im Jahr 2001 bei einem Treffen von Holocaust-Leugnern in Beirut als Redner auftreten. Nach Angaben der Berliner Zeitung habe Voigt dabei ein hohes Interesse an der engeren Zusammenarbeit mit den Islamisten bekundet. Insbesondere seit dem Terroranschlag vom 11. September 2001 mehren sich die Stimmen im rechtsradikalen Milieu, die eine Annäherung an die Islamisten propagieren. Inwieweit sich die Aussagen einiger islamistischer Gruppen in das Weltbild so mancher GlobalisierungsgegnerInnen und Neonazis integrieren bzw. eine zukünftige Zusammenarbeit ermöglichen, kann an dieser Stelle zwar nicht genauer untersucht werden, die Parallelen sind jedoch gegeben, wenn der Kapitalismus nicht in seiner Totalität, sondern nur in seinem abstrakten Ausdruck, dem Finanzkapital, wahrgenommen und kritisiert wird.

 

Was bleibt?

Auch wenn feststellbar ist, dass der Antisemitismus in arabischen Ländern gerade in den letzten Jahren vor dem Hintergrund der Eskalation im Nahostkonflikt zunimmt, erscheint der Hinweis auf die politischen Realitäten wenig hilfreich, wenn die historische Zusammenarbeit zwischen Nationalsozialisten, Islamisten und arabischen Nationalisten lediglich als »strategisches« Bündnis bewertet wird. Abgesehen davon, dass es durchaus fragwürdig ist, arabischen Antisemiten wie den Befürwortern der Revisionisten oder dem Mufti zu unterstellen, sie würden vor allem strategisch handeln, ist dies für das Ergebnis zweitrangig. Mit anderen Worten: Was hilft es zu wissen, ob der Mufti nun sein Hauptaugenmerk auf ein dekolonialisiertes Palästina gelegt hat? Fakt ist, dass er aktiv daran beteiligt war, Juden und Jüdinnen in den sicheren Tod zu schicken, die Achsenmächte sowohl ideologisch als auch militärisch zu unterstützen und nach 1945 deutschen Nazis weitere Agitationsfelder im Nahen Osten zu ermöglichen.

Die Islamisierung der zweiten Intifada hängt allerdings eng mit der Entwicklung des Nahost-Konfliktes zusammen. Nun ist der arabische Antisemitismus zwar kein Phänomen, dass sich allein auf islamistische Gruppen beschränken ließe, er findet derzeit dort jedoch seinen stärksten Ausdruck als Vernichtungsantisemitismus. Dieser war stets Bestandteil des Islamismus, wie sich exemplarisch an dem Programm und der Politik der Hamas aufzeigen lässt. Die Frage ist also, inwieweit es vor der Projektionsfläche des Nahostkonfliktes den Islamisten gelingt, vorhandene Ressentiments in ein geschlossen antisemitisches Weltbild einzubetten, das nicht »nur« die Vernichtung Israels, sondern auch »die Juden« generell zum »Übel der Welt« erklärt. Darin liegt jedoch genau ein fundamentales Problem im israelisch- palästinensischen Konflikt. Mit einer zunehmenden Unterstützung für die islamistischen Selbstmordattentäter und ihrer antisemitischen Hetze rückt die Vorstellung einer friedlichen Koexistenz immer weiter in die Ferne. Die These von Volker Weiß, dass sowohl der Bezug auf die Revisionisten als auch die offene Zusammenarbeit vor allem strategischen Überlegungen zugrunde liegen würden, ist nicht nur fraglich, sondern sollte für die radikale Linke hier irrelevant sein. Denn was nützt es, wenn wir wissen, weshalb Revisionisten und Nazis in den arabischen Staaten bejubelt werden bzw. welche gesellschaftlichen und politischen Prozesse dorthin geführt haben? Die Geschichte kann nicht zurückgedreht werden, antifaschistische Pflicht sollte es vielmehr sein, sich mit eben diesen historischen und aktuellen Verbindungen intensiv auseinander zu setzen und sie vehement zu kritisieren. Denn darin liegt nicht nur ein Schlüssel für das Verständnis von entscheidenden Aspekten der derzeitigen Nahostproblematik, sondern auch für die eigene antifaschistische Glaubwürdigkeit.

 

 

Fußnoten:

(1) Siehe dazu z.B. Thomas Schmidinger, »Export und Hopp. Der Antisemitismus in arabisch- islamischen Gesellschaften basiert auf europäischen Quellen« in: Jungle World, Nr.48 (2001), Dossier. Schmidinger behauptet dort, dass »der arabische Antisemitismus (...) rein europäisches, primär deutsch- österreichisches Importprodukt« bleibe, das je nach Bedarf für die Auseinandersetzung mit Israel eingesetzt« werde. Er sieht diese Lösung für das Problem des stark verbreiteten Antisemitismus in den verschiedenen arabischen Staaten eng mit der Beendung des Nahostkonfliktes verbunden.

(2) Diese These findet sich vor allem in den Texten der verschiedenen Bahamas-AutorInnen wieder.

(3) Pol-Abt III, Politik 2- Palästina, zitiert nach: Klaus Gensicke, Der Mufti von Jerusalem, Amin el-Husseini und die Nationalsozialisten, Frankfurt/Main, 45f.

(4) Zitiert nach: Gerhard Höpp, Mufti-Papiere. Briefe, Memoranden, Reden und Aufrufe Amin al-Husainis aus dem Exil 1940-1945, Berlin 2001, 125.

(5) Von Stohrer entwikkelte das »Islam-Programm« vor dem Hintergrund einer deutschen Kooperation mit der »islamischen Welt« und legte es 1941 in Berlin vor.

(6) Vgl. Matthias Küntzel, Djihad und Judenhass, Freiburg 2002, 18.

(7) Andrea Woeldike/ Holger Schatz, Freiheit und Wahn deutscher Arbeit, Hamburg 2001.

Phase 2 Göttingen