Vor, während und nach dem Auflösungsprozess der AA/BO wurde über die Fehler und die Stärken dieses Organisierungsansatzes heftigst debattiert. Dabei wurde als wohl größter Mangel, eine zu starke Fixierung auf die politische Praxis und Handlungsfähigkeit ausgemacht, mit der Folge einer sehr reduzierten, bis komplett fehlenden theoretischen Auseinandersetzung. Diese Ausrichtung auf die Handlungsfähigkeit des Ansatzes hatte zur Folge, dass nicht mehr als bestimmte Formen politischer Praxis entwickelt und vereinheitlicht wurden. Die Außenwirkung der AA/BO wurde so maßgeblich durch ihr Auftreten und ihre Arbeitsstrukturen bestimmt und nicht über ihre theoretische Positionen. Diese Politikformen, die sich zu Beginn der AA/BO stark, gegen Ende eher weniger von der restlichen antifaschistischen Bewegung unterschieden, wurden auch als die eigentliche Stärke der AA/BO gesehen . Die restliche Bewegung schien diese Formen zu akzeptieren und als richtige und erfolgreiche Konzepte in ihre Arbeit zu integrieren. Genannt seien nur Öffentlichkeits-, Bündnis- und Jugendpolitik. Unter andern schrieb sich die AA/BO auch auf die Fahnen, und dies wurde auf dem „Antifakongress“ in Göttingen fast widerspruchslos so aufgenommen, den Organisierungsgedanken in die Bewegung getragen und diesen dort etabliert zu haben. Auf dieser Basis sollte nach der Auflösung ein neuer Rahmen entstehen, indem die notwendigen Diskussionen über Inhalte, Strategien und Formen linksradikaler Politik endlich geführt werden könnten, für die es in der AA/BO keinen Raum gab und deren langanhaltende Vernachlässigung zu einem wesentlichen Teil für die Schwächung und das schnell fortschreitende Auseinanderbrechen der Antifabewegung hauptverantwortlich scheint.
Waren es auf dem „Antifakongress“ noch 25 Gruppen, die sich am Aufbau einer solchen Struktur beteiligen und in diesen Diskussionsprozess einsteigen wollten, und gab es im Juli 2001 in Leipzig ein erstes gut besuchtes Treffen, welches als Ergebnis ein klares Votum abgab, nicht nur einen Diskussionsrahmen zu schaffen, sondern sich perspektivisch sogar um den Aufbau einer Organisation bemühen wollte, gibt es heute nichts mehr. Der Ansatz löste sich ins Nichts auf, bevor genauere Konturen entstehen konnte. Die Gründe sind genauso einfach, wie sie zum wiederholten Male einen erschreckenden Stand dieser Bewegung aufzeigen. Nicht an inhaltlichen Differenzen, wie es vielleicht zu erwarten gewesen wäre, bei einer sehr heterogenen Zusammensetzung, scheiterte dieser Ansatz und nicht an Streitigkeiten über eines den Ansprüchen für inhaltliche Diskussionen gerechtwerdenden strukturellen Aufbaus. Der einzige Grund war die mangelnde Bereitschaft an einem solchen Ansatz aktiv zu partizipieren und dies sicherlich nicht aus Gründen der Unmöglichkeit, sondern aufgrund einer Prioritätensetzung, wie sie sich seit Jahren in der Antifabewegung entwickelt hat, nämlich die Konzentration auf die eigenen lokalen, bestenfalls regionalen Aktionen und Strukturen. Wenn eine Bewegung, die sich nicht erst seit letzten Sommer, den zum Teil berechtigten Vorwurf des Reformismus gefallen lassen muss, sich nach der Feststellung, dass es eine Notwendigkeit für sie gibt intensiver als bisher über Perspektiven und Inhalte zu diskutieren, darauf besinnt ersteinmal ihre „Lokalpolitik“ in Ordnung zu bringen, die im Regelfall nur Realpolitik sein kann und somit immer einen starken reformistischen, weil vermittelnden Einschlag hat, leidet entweder unter Gedächtnisschwund oder hat sich vom eigenen Anspruch über linksradikale Politik nicht nur am WG-Tisch zu debattieren, längst verabschiedet. Die AA/BO muss sich in diesem Zusammenhang die Frage stellen lassen, ob sie mit den in der „EinSatz-Broschüre“ aufgestellten Kriterien für die Aufnahme in die AA/BO, z.B. die Verankerung der Gruppen vor Ort, funktionierende Jugendarbeit, etc. nicht der Bewegung einen Bärendienst erwiesen hat, wenn diese inzwischen als allgemeine Kriterien für die Teilnahme an bundesweiter Politik gewertet werden und in dieser Phase des Zerfalls notwendige Diskussionen verhindern. Von der Etablierung eines Organisierungsgedankens sollte aufgrund des vorliegenden Sachverhalts lieber gar nicht gesprochen werden. Komplett ad absurdum führt sich diese Konzentration auf lokale und regionale Arbeit, wenn der Blick über den eigenen Tellerrand zur sog. Antiglobalisierungsbewegung geworfen wird. Einer der im Vergleich zur Antifabewegung sicherlich auffälligste Unterschiede ist, abgesehen vom Medialeninteresse, dem Aufschwung der Einen und der Niedergang der Anderen Bewegung, gerade die nicht vorhanden regionalen Strukturen, sondern eine bundesweite bzw. internationale Vernetzung von Initiativen und Einzelpersonen. Das sich mit dieser Grundlage antikapitalistische Positionen in die Öffentlichkeit tragen lassen, in einer Weise, wie es der Antifabewegung nie gelungen ist, sollte zumindest zum Nachdenken über die alten Weisheiten anregen.
In der Konsequenz des Fehlens jeder bundesweiten Organisierung der antifaschistischen Bewegungslinken, ist die Möglichkeit die eigenen Perspektiven gemeinsam zu analysieren und die Möglichkeit über einzelne Initiativen und Aktionen hinaus, bestimmte Themen, Diskussionen und Kritik in diese Bewegung zu tragen, Weggebrochen. Die Kontinuität von Diskussionen, die im Kontrast zu der Diskontinuität der Bewegung stehen könnte, und damit Perspektiven jenseits des eigenen Teilbereichs entwickeln könnte, ist abgebrochen, bevor sie richtig begonnen hatte. Die ersten Impulse dieser Diskussionen, wie antikapitalistische Politik zukünftig aussehen könnte, gilt es jetzt aufzugreifen und so gut wie möglich weiter zu führen, um nicht wieder im eigenen Sumpf zu versinken. Klingt eigentlich gut, aber wer soll das machen und wie sollten Zwischenergebnisse veröffentlicht und zur Diskussion gestellt werden? Ohne einen festen Rahmen bleibt uns und anderen Gruppen, die weiterhin eine bundesweite Diskussion und Organisierung für notwendig halten und diese auch betreiben wollen und können, nur die Möglichkeit weiterhin dieses Zeitungsprojekt zum veröffentlichen von Positionen zu nutzen und die Diskussionen, die zu diesen Positionen führen, im kleinem Kreise zu führen. Das Interesse an breiter geführten Diskussionen ist damit nicht verschwunden, doch wir sind es Leid seit gut 10 Jahren für eine Idee zu werben, die wie weiterhin für richtig und wichtig halten, aber für die es offensichtlich keine Basis mehr gibt. Falls es einen nächsten Organisierungsversuch von uns geben sollte, wird er vollkommen anders aussehen als alle bisherigen, angepasst an den Rest der Bewegung, die diese Idee nicht umsetzen will. Dieses genauer auszuführen ist zur Zeit nicht möglich, da die Ereignisse auch uns überrumpelt haben und keine unausgegorenen Konzepte vorgestellt werden sollen.
Über die bereits angesprochenen Impulse und Perspektiven wurde bereits auf dem „Antifakongress“ in Göttingen diskutiert, dies waren vor allem die unterschiedlichen Teilbereiche, in denen sich etwas zu bewegen scheint und auch tatsächlich bewegt. Gerade die inhaltliche Auseinandersetzung mit der sog. Antiglobalisierungsbewegung, neben der eher klassischen Antirabewegung, stand dabei im Mittelpunkt. Dies sicherlich nicht zuletzt, aufgrund des medialen Spektakels um jeden neuen Gipfel und die Proteste dagegen. Eine Bewegung ist also entdeckt, übersehen konnte sie eigentlich niemand, und die Antifa ist schon seit Köln 1998 dabei. Doch welche Perspektive eröffnet sich damit für die Antifa, ein Aufspringen auf den fahrenden Zug ist wohl kaum nötig, sitzt die Antifa doch längst drin, auch wenn sie bisher nicht mit eigenen Positionen in Erscheinung treten konnte, sondern nur als Teil des „Black Block“ praktische Kritik artikulierte. Diese Schwäche, nur bei Aktionen dabei zu sein, ist erkannt und könnte relativ einfach behoben, das Wissen über öffentlichkeitswirksame Präsentation ist vorhanden. Wenn dies auch zur Geltung gebracht werden könnte, besteht die Möglichkeit dem militanten Teil der „AntiglobalisierungsgegnerInnen“ eine Stimme zu geben. Dies wird dann nicht nur in Medien und von der Staatsmacht registriert werden, sondern vielleicht sogar von den vielen jüngeren Personen, die sich an den Protesten beteiligen. Antifagruppen könnten für diese regionale Orientierungspunkte werden, vielleicht sogar in diesen organisieren. Und Schwupps schon haben wir den Zerfall der Antifabewegung gestoppt und in den militanten Teil „Antiglobalisierungsbewegung“ umgewandelt, die von nun an auf das technische und organisatorischen Wissen der letzten Jahre zurückgreifen kann. Kein völlig unrealistisches Szenario und ein scheinbar sehr erfolgreiches dazu, doch uns leider zu wenig. Dieses einfache umsatteln mag sinnvoll sein, aber doch bei weitem zu kurz greifen. Es geht immerhin um nicht mehr und nicht weniger, als eine Perspektive für eine revolutionäre und antikapitalistische Politik zu entwickeln. Die bisherigen Schwächen der Antifabewegung, die wesentlich zu ihrem Niedergang beigetragen haben, finden darin keine Auflösung, sondern allein ihre in sich konsequente Fortsetzung. Wir fordern deswegen noch lange keine Abkehr von Bewegungspolitik, im Gegenteil halten wir diese weiterhin für wichtig und sinnvoll, allerdings meinen wir auch hier die Notwendigkeit zu sehen, der Diskontinuität der Bewegung und der nur punktuell entwickelten Kritik, eine diesen überwindenden Ansatz entgegenstellen zu müssen.
Stehen wir im Augenblick noch vor den Trümmern der Antifabewegung einerseits und der sich bisher davon unabhängig entwickelnden „Antiglobalisierungsbewegung“ auf der anderen Seite, könnte sich aus der scheinbar desaströsen Situation eine neue Chance entwickeln. Auf den Erfahrungen der letzten Jahre aufbauend, gerade mit dem Wissen um die eigenen Fehler und die weitverbreitete Passivität der Bewegung, werden wir uns zurück melden und nicht um wieder in einem Teilbereich versinken zu wollen, sondern aus dieser Situation zwischen den Fronten, mit der entsprechenden Distanz und dem notwendigen Engagement einen neuen organisatorischen Ansatz zu entwickeln, der eine Kontinuität von theoretischen Diskussionen und praktischen Initiativen gewährleisten kann. Unsere Erfahrung hat gezeigt, dass die Basis dies nicht leisten kann und will, somit bleiben nur wenige Möglichkeiten andere Ansatzpunkte zu finden.
Organisierungs-AG
Göttingen