Lange war es ruhig um das Thema Antiamerikanismus. Mit der Wahl von Barack Obama zum US-Präsidenten 2009 schien das Thema als Anti-Bushismus etikettiert und abgehakt. Während George W. Bush als unkultivierter Cowboy arrogant die Weltpolitik zu bestimmen beanspruche, so das Bild, betreibe Obama multilaterale Zurückhaltung. Gerade mal zwölf Tage im Amt erntete er vom stolz selbst etikettierten »alten Europa« den Friedensnobelpreis.
Als stifte ein solcher Paradigmenwechsel zu viel Verwirrung, stellte sich nach der Tötung von Osama Bin Laden die Rede vom »entlarvten Friedens-Präsident« ein. Hierzulande, wo bis heute NS-Verbrecher ungestraft leben, versöhnte man sich mit dem Massenmörder und sprach den USA ethische Grundstandards ab. Vorher machte die internationale Finanzkrise alten Bildern Platz. Als es noch möglich war, freute man sich insgeheim und wünschte den USA die Pest an den Hals. Nun, da die Eurokrise verhindert, das Thema weiterhin von sich abzuspalten, werden Wall Street Rating-Agenturen und der US-amerikanische Shareholder-Value als Schuldige vorgeführt. Kaum ein Wort davon, dass hauptsächlich deutsche Banken im US-Subprime-Markt gezockt haben und dass seit Jahren die deutsche Sozialabbau-Politik mit Umstellung auf ein Rentenfondssystem die »undeutsche« Finanzblase füttert und die deutsche Exportweltmeister-Politik alle europäischen Staatshaushalte pulverisiert.
Deutschland, das gilt den Deutschen als Kulturnation, ökonomische Nachhaltigkeit und internationale Verantwortung – die USA als das Gegenteil. Der Schritt zur manichäistischen Welterklärung mit Verschwörungsdenken und antisemitischen Übergängen ist da nicht weit. Zum Beweis muss man sich nicht auf derzeitige Montagsdemos bewegen, bei denen sich Attac und NPD ein Stelldichein geben. Die nur etwas abgeschwächte Rhetorik von Heuschrecken, McDonaldisierung und lobbyistischer US-Außenpolitik wird in der Mitte der deutschen Bevölkerung als beklatschtes Kavaliersdelikt vertrieben und nachgefragt: im Vorabendprogramm, im Feuilleton und an der Uni.
Was vielleicht nicht überrascht, ist längst nicht theoretisch begriffen, weshalb die drei dieses Jahr erschienenen Untersuchungen über Antiamerikanismus in Deutschland sehr zu begrüßen sind. Barbara Fried kritisiert in ihrer Studie Antiamerikanismus als kulturalisierende Praxis die in der Fachliteratur über Antiamerikanismus anzutreffende Behauptung, dieser resultiere aus jahrhundertealten Bildern. Solche Permanenz der Bilder könne nicht als Erklärung befriedigen, schlimmer noch: Die Rede von intergenerationellen Mentalitätsbeständen mache es dem Antiamerikanismus in der Kulturalisierung gleich und verdoppele ihn zum »ewigen Antiamerikanismus«. Indem Fried sich in die verästelten deutschen Diskurse um europäische Einigung und Einführung von Agenda 2010 Anfang der Nuller Jahre versenkt, legt sie überzeugend dar, dass es falsch wäre, sich vollends auf Irrationalismus oder Projektivität in der Deutung zu stützen. Wenngleich ähnliche Bilder bemüht würden, spielten sowohl die Kontexte als auch die Wechselwirkungen mit genuin gesellschaftlichen Vorgängen eine Rolle. So sei der Europa-Diskurs hauptsächlich eine Intellektuellendebatte mit scharfen identitären Profilierungsversuchen, wohingegen sich an der Agenda 2010-Kontroverse die breite Bevölkerung mit schillernden Argumenten beteiligte und sich nicht daran störte, dass GegnerInnen wie Befürwortende des rot-grünen Sozialkahlschlags vor »amerikanischen Verhältnissen« warnten. Analysiere man dies auf Ebene eines aktualisierten Verdinglichungsbegriffs, so Fried, werde deutlich, dass es beim Antiamerikanismus um die spezifische Verarbeitung der Erfahrung gesellschaftlich ungleichzeitiger Entwicklungsstände ginge.
Auch Tobias Jaecker analysiert in Hass, Neid, Wahn den Antiamerikanismus in den deutschen Mainstream-Medien der Jahre 2001 bis 2010. Wie Fried betont auch er die Wandelbarkeit antiamerikanischer Bilder. Das Thema unterteilt Jaecker in die Bereiche Politik, Wirtschaft und Kultur und zeichnet dort jeweils über zehn antiamerikanische Stereotypen anhand vielfältiger Medienquellen und einer Detailanalyse nach. Dabei entdeckt er in diesen Themenfeldern eine abgestufte Ideologie-Verdichtung. Während in der Kultur vorwiegend individuelle Vorurteile und Ressentiments vorherrschten, ist in der Politik eine nahezu geschlossene Weltanschauung und in der Wirtschaft ein hermetisches Verschwörungsdenken vorzufinden. Dies hänge von der jeweiligen Anschlussfähigkeit an nationalistische und antisemitische Semantiken ab.
Für Heiko Beyer ist Antiamerikanismus bisher nur unzureichend mit ad hoc-Thesen erfasst worden, weshalb er das Thema mit seiner Studie Soziologie des Antiamerikanismus theoretisch und methodisch in rein soziologisches Fahrwasser überführt. Seine These, Antiamerikanismus biete eine der populärsten Erklärungen für sozialen Wandel und Modernisierungsprozesse, leitet er aus einer großen theoretischen Bandbreite ab – von der neuen Marx-Lektüre, über Psychoanalyse und Jürgen Habermas bis zum methodologischen Individualismus – und setzte sie einem standardisierten Telefoninterviewtest in Deutschland aus.
Beyers Studie kann über weite Strecken nicht nur als Ergänzung zu den ersten beiden gelesen werden, sie liefert zudem die erste quantitative Monographie mit belastbaren ProbandInnenzahlen. Dies und Beyers statistische Akkuratesse werden die Antiamerikanismusforschung sicher auf ein neues methodisches Level heben. Deshalb werden Beyers Bestätigung von Antiamerikanismus in den Bereichen Ökonomie, Politik und Kultur und die gefundene »funktionale Äquivalenz« von Antisemitismus und Antiamerikanismus wohl mehr Gehör finden als Jaeckers und Frieds »kulturwissenschaftlichere« Analysen. Interessant ist, dass die größte Affinität zu Antiamerikanismus bei Männern, Ostdeutschen, Jüngeren, Bildungsschwächeren und – nota bene – sich politisch eher links Verortenden zu finden sein soll. Dennoch ahnt man bei der Lektüre von Beyers Studie, dass diese ganze Paradigmen trennenden Theorien nicht recht zusammenpassen. Moishe Postones marxologische Zeitdiagnose im Coleman’schen Badewannenmodell, und das alles in like/dislike-Variablen pressen – wie soll das gehen? Selbst Beyer räumt ein, dass eine seiner Hauptthesen – Antiamerikanismus als Verdrängung hedonistischer Selbstanteile – nicht in Ja/Nein Antworten operationalisierbar ist (was ihn selbst nicht davon abhält), denn psychoanalytisch Unbewusstes bedarf qualitativer Interpretation. Auch fehlen ihm Antennen für Frieds punchline der fragwürdigen Permanenzbehauptung von Antiamerikanismus. Stattdessen ist Bayer die »250-jährige Tradition des Ressentiments« Beleg für dessen Irrationalismus. Im Fragebogen taucht die Fried’sche These indirekt so auf, dass nach Identifikation mit Europa und Deutschland gefragt wird. Da diese statistisch kaum nachweisbar sei, schließt er, wäre der nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion eruptierte Ethnonationalismus kein verändernder Faktor – ein höchst zweifelhaftes Ergebnis, das den Quellen von Jaecker und Fried direkt widerspricht.
Aufgrund methodischer Nähe lassen sich Jaeckers und Frieds Arbeiten gut vergleichend lesen. Jaeckers Analyse umfasst mehr Themen und Typologien sowie eine größere Zeitspanne, der Vorteil an Frieds Untersuchung ist die Fokussierung auf exemplarische Falluntersuchungen mit Differenzierungen bezüglich der Interessengruppen. Trotz Gemeinsamkeit im qualitativen Zugang gibt es auch hier durchschlagende methodische Unterschiede. Fried greift auf die Ideologiekritik der ersten Generation der Kritischen Theorie zurück – was bei qualitativen Inhaltsanalysen mangels ausgearbeiteter Methodologie nicht einfach ist. Zwar hat Theodor W. Adorno im Positivismusstreit in der deutschen Soziologie die Frontstellung deutlich gemacht: zum einen gegen den kritischen Rationalismus, in dem Erkenntnis in das erkennende, aber fehlerbehaftete Subjekt falle, womit letzte Wahrheiten unmöglich seien; zum anderen gegen eine Karl Mannheim’sche Wissenssoziologie mit totalem Ideologiebegriff, die gesellschaftsunkritisch im Wissensbereich verbleibe und widersprüchlicher Weise »richtiges« ForscherInnen-Bewusstsein voraussetze. Dennoch, so Adornos schwieriger Gedanke, sei Totalität eine kritische Kategorie – die der Erfahrbarkeit durchdringend wirkender Gesellschaftsstrukturen, welche ihre praktische Abschaffung einfordere. Dass es um Erfahrung solcher Totalität im Forschungsprozess gehen müsse, war denn auch ein Kernpunkt von Jürgen Ritsert bei seinem Versuch einer entsprechenden Methodologie in den siebziger Jahren, welche noch immer einer Fundierung harrt. Ideologien mit umfassendem Wahrheitsanspruch wie der Liberalismus, so schließt Fried daran an, strahlten innerhalb des Kapitalismus epochenübergreifend aus, daher die vermeidliche Konstanz der Bilder. Kapitalismusinterne Epochenbrüche veränderten Ideologie jedoch grundlegend: Sie wandelte sich zur regressiven, fragmentierten »Alltagsreligion« (Detlev Claussen) ohne Wahrheitsemphase.
Jaecker, an der kritischen Diskursanalyse geschult, rekonstruiert den Ideologiebegriff im Stil eines freigelegten, bleibenden »irrational-ideologischen Kerns«. Dieser Ideologiebegriff beschreibt besser als bei Fried die im Kapitalismus und Antiamerikanismus feststellbaren, nicht-liberalen Irrationalismusmotive wie das Verschwörungsdenken. Andererseits ist Jaeckers Diskusanalyse tendenziell blind gegenüber gesellschaftlicher Totalität und ihren Brüchen. Er kürzt Totalität aus dem Ideologiebegriff, denn der habe in Michel Foucaults und Siegfried Jägers Analyse von »Sagbarkeitsfeldern« seine Höchstentwicklung gehabt. Deshalb trifft Jaecker Adornos Kritik doppelt: Einerseits beschreibt Jaecker Forschende im Stile des kritischen Rationalismus immer im Diskurs gefangen?–?gesellschaftliche Makrostrukturen und Ungleichzeitigkeiten sind derart letztlich nicht beweisbar–, andererseits beschränkt er sich wissenssoziologisch auf Textimmanenz. So unterscheiden sich auch Jaeckers und Frieds praktische Schlussfolgerung: Jaecker fordert differenziertere Medienberichterstattung, Fried Gesellschaftskritik.
Oliver Barth
Heiko Beyer: Soziologie des Antiamerikanismus. Zur Theorie und Wirkmächtigkeit spätmodernen Unbehagens, Campus Verlag, Frankfurt a.M. 2014, 222 S., € 36,90.
Barbara Fried: Antiamerikanismus als kulturalisierende Praxis. Von ›Europäischer Identität‹ und ›Amerikanischen Verhältnissen‹, Westfälisches Dampfboot, Münster 2014, 275 S., € 29,90.
Tobias Jaecker: Hass, Neid, Wahn. Anti-amerikanismus in den deutschen Medien, Campus Verlag, Frankfurt a.M. 2014, 409 S., € 29,90.