Es gibt verschiedene Punkte, an denen ein materialistischer Feminismus ansetzen kann: etwa an einer Kritik der kapitalistischen Ökonomie und des Staats, die Frauen nach wie vor die Bürde der Reproduktion aufdrängen. Ein materialistischer Feminismus kann die Kritik der geschlechterspezifischen Sozialisation vorantreiben, aus der das weibliche Subjekt samt seiner immensen Widersprüche hervorgeht. Er kann sich dem Verhältnis von Natur und Gesellschaft widmen und untersuchen, wie die herrschende Zweigeschlechterordnung über das Vergesellschaften von Biologie und leiblichen Bedürfnissen hergestellt wird. Das Patriarchat, mit Roswitha Scholz verstanden als globale kapitalistische Totalität, schlägt sich in allen diesen Bereichen nieder und muss in seiner jeweiligen Besonderheit, aber mit dem Blick auf das Ganze analysiert werden.
Nach Jahren der Auseinandersetzung mit feministischer Theorie und dem dominanten Queerfeminismus scheint mir die wichtigste Bestimmung zu sein, dass der materialistische Feminismus sich Objekte setzt, die außerhalb seiner selbst liegen. Meine These lautet: Feministinnen müssen wieder lernen, sich an vielfältigen Objekten abzuarbeiten, statt sich sprach- und diskursverliebt – und damit gefangen in Angst- und Schulddynamiken – um sich selbst zu kreiseln.
Objekt-Setzung und Aggressivität
Unter »Objekten« verstehe ich hier die Gegenstände der feministischen Kritik. Darunter können folgende Bereiche fallen: Gegenstände der Politik, der Geschichte, der Kunst, der Sprache, der Sexual- und Sozialforschung oder des Alltags. Ein möglichst breiter Blickwinkel ist dienlich, um zu einem umfassenden Verständnis des kapitalistischen Patriarchats zu gelangen. Nur so ist es möglich, auf vernünftige Weise realpolitisch zu intervenieren und darüber hinaus Utopien zu produzieren.
Auf der Ebene des Begehrens forderte Barbara Sichtermann bereits 1982, Feministinnen sollten sich im Rahmen ihres heterosexuellen Begehrens mit Männern auseinandersetzen und gemeinsam mit ihnen feministische Praxen entwickeln, die das Geschlechterverhältnis in Frage stellen.Barbara Sichtermann, »Von einem Silbermesser zerteilt« Über die Schwierigkeiten der Frauen, Objekte zu bilden und über die Folgen dieser Schwierigkeiten für die Liebe, in: dies.: Weiblichkeit. Zur Politik des Privaten, Berlin 1991, 70-80. Sichtermanns Aufsatz findet sich vollständig abgedruckt und klug analysiert von Charlotte Mohs in: outside the box #6.typo3/ Dazu gehöre es wesentlich, dass Frauen sich bewusst in die Rolle des begehrenden Subjekts begeben, die seit Beginn des Patriarchats vor allem Männern vorbehalten ist; umgekehrt sollen sie Männer als Sexualobjekte lustvoll besetzen. Die sexuelle Distanz gegenüber Männern sei für Heteras dauerhaft kein befriedigender Ausweg, sondern eine Kapitulation vor dem Herrschaftsverhältnis Heterosexualität.
Sichtermann geht es also darum, dass Frauen in ihrem Streben nach dem Subjektstatus lernen müssen, Objekte zu bilden. Das heißt: »sich selbst in ein aktives Verhältnis zur Welt setzen. […] Es hieße, ein Ding, einen Menschen oder eine Vielfalt von Dingen und Menschen für sich setzen, isolieren und wissen wollen, was es mit ihm, mit ihr auf sich hat.« Ähnlich wie vor ihr Simone de Beauvoir analysiert Sichtermann die mangelnde Fähigkeit und Übung von Frauen, sich Objekte zu setzen, als eine »historische Schwäche«, die aus ihrer gesellschaftlich hergestellten Ohnmacht rühre.Sichtermann, „Von einem Silbermesser zerteilt“, 71f.typo3/ Aufgabe des Feminismus ist es also, Frauen zu ermächtigen, die patriarchal eingerichtete Welt kritisch und kampflustig ins Auge zu fassen. Kampfziele sollten, realpolitisch, die Gleichstellung im bürgerlichen Patriarchat und – utopisch – die Abschaffung jeglichen Patriarchats sein.
Was für sexuelle Subjektivität gilt, ist ebenso interessant für Frauen als Subjekte von Erkenntnis. Denn die weibliche Sozialisation behindert die intellektuelle Autonomie von Frauen ebenso wie ihre sexuelle. Damit eng verbunden ist die Unterdrückung weiblicher Aggressivität. Aber um in die Außenwelt einzugreifen und in ihr Objekte zu isolieren, braucht es Aggressivität, im positiven Sinn von Selbstvertrauen und dem starken Willen, die eigenen Bedürfnisse nicht per se anderen unterzuordnen. Wenn es sich bei den Objekten um Gedankengegenstände handelt, ist der aggressive Mut unverzichtbar, eigenständig zu denken und die eigenen Gedanken auch zu artikulieren. Stattdessen äußert sich weibliche Aggression oft auf passive und selbstzerstörerische Weise – sei es in Form von Essstörungen, Selbstverletzungen körperlicher oder psychischer Art, Ängsten oder Schuldgefühlen. Statt frauenverachtende gesellschaftliche Mechanismen zu untersuchen und kollektiv dagegen vorzugehen, versuchen Frauen vielerorts, so schön, gefällig und perfekt wie möglich zu sein, und verhalten sich unsolidarisch gegenüber anderen Frauen und Marginalisierten. Es ist eine große feministische Aufgabe, die eigene Aggressivität und die Sehnsucht nach Objekten des Genusses und der Machtausübung nicht zu verleugnen, sondern Wege zu finden, diese Bedürfnisse mit Vernunft und Leidenschaft auszuagieren. »Strong women / know the taste / of their own hatred«, schreibt Audre Lorde.
Doch auch im Feminismus bleibt der patriarchale Zusammenhang zwischen der Unterdrückung weiblicher Aggression und ihrer Verschiebung in Autoaggression oft unreflektiert. Daher taucht auch hier immer wieder die Tendenz auf, sich nicht mehr kritisch und kämpferisch auf die Außenwelt zu beziehen, sondern die Unzufriedenheit destruktiv gegen sich selbst und die Genossinnen zu richten. Die Patriarchatskritik weicht der Selbstkritik und der Selbstzerfleischung, die sich und anderen Befriedigung versagt. Solche innerfeministischen Fehden zeigen sich in Frauen-Lesben-Zusammenhängen der achtziger Jahre genauso wie heute in queerfeministischen Szenen.Vgl. Ilona Bubeck, Die Sichtbarkeit von Lesben. Eine Rede gegen Anfeindungen und Diffamierungen, in: Patsy l’Amour LaLove (Hg.), Beißreflexe. Kritik an queerem Aktivismus, autoritären Sehnsüchten, Sprechverboten, Berlin 2017, 247-250.typo3/ Die Einsicht in die Notwendigkeit, sich selbst als geschichtliches und geschlechtliches Subjekt zu reflektieren, weicht dann der Vorstellung einer rein individuellen Subjektivität, in der unhintergehbare persönliche Wahrheiten gefunden werden könnten. Es geht etwa darum, das eigene Begehren und die eigene sexuelle Identität aus dem tiefsten Inneren hervorzukramen, als lägen sie dort bereit wie ein gut verstecktes Osterei. Angebote zum Motto »Gestalte dein individuelles Gender!« sind etwa auf Ladyfesten, in der Mädchenarbeit und auf queeren Partys beliebt. Sie bieten zwar die Möglichkeit zum lustvollen Experiment, haben aber den Hinkefuß, Geschlecht und Begehren hoffnungslos zu individualisieren. Der Ausweg, den sie bieten, ist reflexionslose Selbstbespiegelung und Selbstinszenierung und eine Verweigerungshaltung. Als ginge einen die Außenwelt nichts an: das ganze Elend des weiblichen Narzissmus, eine Wiederholung der gesellschaftlichen Ohnmacht.
Vergessen wird dabei, dass es kein Subjekt ohne Objekt geben kann, zu dem das Subjekt sich ins Verhältnis setzt. Dem einzelnen Subjekt stehen Objekte in Form anderer Menschen, Institutionen, Verhältnisse und schließlich der totalitären kapitalistischen Gesellschaft gegenüber. Diese Objekte bedingen und prägen das Subjekt und werden ihrerseits von ihm geprägt. Beispielsweise ist das lesbische Subjekt in der Spezifik seines Begehrens und seiner psychischen Struktur nicht denkbar ohne die patriarchalen Geschlechtscharaktere Frau und Mann sowie ohne die Kultur- und Unterdrückungsgeschichte weiblicher (Homo-)Sexualität. Sich als Lesbe zu identifizieren, bedeutet notwendig, sich in ein Verhältnis zu diesen gesellschaftlichen Objektivitäten zu setzen: ein subjektives, spannungsgeladenes Verhältnis mit ihnen einzugehen, das für die Einzelne wie auch für lesbische Kollektive immer wieder Widersprüche erzeugt.
Das bürgerliche Subjekt ist gekennzeichnet durch eine Zweiteilung gemäß den Verhältnissen, in denen es sich befindet. Neben dem äußeren Verhältnis zur Welt, mit der es interagiert, unterhält es ein innerpsychisches, reflexives Selbstverhältnis, das Stabilität und Kohärenz der Persönlichkeit ermöglicht. Dieses Selbstverhältnis setzt eine Selbst-Objektivierung voraus, die sich der Kategorien der Außenwelt bedient und sie kompromisshaft mit den eigenen Trieben und Bedürfnissen vermittelt. Nach guter hegelscher und marxistischer Schule muss der subjekthafte Einzelne also in zweifacher Hinsicht dialektisch gedacht werden: einmal im Verhältnis zur Gesellschaft und einmal im Verhältnis zu sich selbst. Wichtig ist dabei anzuerkennen, dass alles, was das Subjekt in sich findet, immer schon vergesellschaftet ist; und dass Subjekt und Gesellschaft dennoch nicht in eins fallen. Eine gute materialistische Kritik geht davon aus, dass die Menschen an der falsch eingerichteten Gesellschaft leiden. Sie muss also die Spannungen und Brüche zwischen Subjekt und gesellschaftlicher Objektivität sowie innerhalb des Subjekts akkurat nachzeichnen.
Diese Subjekttheorie feministisch zu wenden, bedeutet wiederum herauszustellen, dass Frauen der Subjektstatus seit Beginn des bürgerlich-patriarchalen Zeitalters nur eingeschränkt zugestanden wird. Heute sollen Frauen zwar durchgängig arbeitsmarktfähige Subjekte sein, aber gleichzeitig alles auffangen, was das männliche Subjekt von sich abspaltet: Reproduktion der Arbeitskraft, Sinnlichkeit, Körperlichkeit, Liebe und Sorge. Es braucht also einen Feminismus, der Frauen darin bekräftigt, diese Zumutung zurückzuweisen und sich als aktive Subjekte zu setzen. Dies schafft eine materialistisch-feministische Kritik, die sich an patriarchalen Missständen abarbeitet und sie angemessen kritisiert, statt sie zu verleugnen.
Die Angst zu sprechen und zu handeln
Barbara Sichtermann ahnte noch nichts von der sprachkritischen Wende, die wenige Jahre später auch im Feminismus Fuß fassen und dem Objekte-Setzen einen kräftigen Tritt verpassen sollte.
Anfang der neunziger Jahre trat der Queerfeminismus seinen bis heute andauernden Siegeszug an, dessen politisches Ziel im Wesentlichen die Anerkennung von geschlechtlicher und sexueller Vielfalt ist. Dafür bezieht sich seine Vordenkerin Judith Butler auf die Sprechakttheorie von John Searle und John Langshaw Austin. In aller Kürze: Nach der Sprechakttheorie ist Sprechen immer schon soziales Handeln und die Welt kann nur über Sprache erfahren werden. Unser Verständnis von den Objekten ist durchdrungen von den Bezeichnungen, die wir für sie haben, und den Bezugnahmen und Bewertungen, die darin stecken. Butlers berühmtes Beispiel ist der Satz: »Es ist ein Mädchen!«, der ein ahnungsloses Neugeborenes in die Kategorie (heterosexuelle) Frau stecke – mit lebenslangen Konsequenzen.Judith Butler, Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts, Berlin 1995, 29.
Damit tritt eine Verschiebung ein, Feminismus wird Sprachpolitik. Die wichtigste Frage ist nicht mehr, wie man den Objekten am besten analytisch zu Leibe rückt, um sie gegebenenfalls zu bekämpfen. Ziel ist es nunmehr, möglichst wenig ausgrenzende und gewaltvolle Sprachpraktiken zu finden. Um die Unterdrückung des Zweigeschlechtersystems nicht zu reproduzieren, werden geschlechtsspezifische Bezeichnungen vermieden oder mit Sternchen und Unterstrichen versehen. Die damit einhergehende Verlagerung von der sozialkritischen auf die sprachkritische Ebene, weg von den realen gesellschaftlichen Verhältnissen, ist oft kritisiert worden.Sehr empfehlenswert ist Jutta Sommerbauer, Differenzen zwischen Frauen. Positionsbestimmung und Kritik des postmodernen Feminismus, Münster 2003. Ich möchte den Fokus hier darauf richten, was die Angst vorm falschen Sprechen unter Feministinnen anrichtet: Sie lenkt die Kritik der patriarchalen Gesellschaft zurück auf ihre Kritikerinnen.
Queerfeministinnen haben Recht, wenn sie sagen, dass der »Mädchen!«-Satz das ganze Leben eines Neugeborenen prägt. Gleichzeitig haben sie Unrecht, denn es ist nicht dieser Satz selber, der einen Menschen zum Mädchen und zur Frau formt, sondern die patriarchale Gesellschaft, die von Anfang an auf das Kind einwirkt. Das geschieht vor allem während der ersten Jahre vorrangig in außersprachlichen Formen. Etwa in kürzeren Stillzeiten für Mädchen, der Bereitschaft des Umfelds, einem weiblichen Kleinkind schnell Trost zu spenden, aber raumgreifende Aktivität zu sanktionieren und es mit rosafarbenen Konsumprodukten zu bombardieren, die allesamt die Botschaft tragen, dass Schön- und Liebsein und Rücksichtnahme auf Andere das Wichtigste seien.
Schon hier beginnt die Tabuisierung offener Aggression, sodass Mädchen kein realistisches Verhältnis zu ihren aggressiven Impulsen gewinnen können. Die weibliche Wut bleibt auf der Stufe kindlicher Vernichtungsphantasien stehen und erscheint auch im Erwachsenenalter als etwas enorm Gefährliches und Zerstörerisches, das häufig kaum bewusst empfunden werden kann. Das Objekte-Setzen wird gerade nicht mit dem Fokus erlernt, eigene Bedürfnisse mit denen anderer Menschen, Institutionen etc. zu vermitteln, sondern sie zu deren Gunsten zu verleugnen. Der nächstliegende psychische Ausweg besteht darin, begehrende, aggressive und andere triebhafte Impulse aus den realen Objektbeziehungen auszuklammern und sie narzisstisch auf sich selbst zu richten, darauf, von Anderen begehrt und geliebt werden zu wollen.Die Odyssee der weiblichen Subjektivität findet sich in den Grundzügen bereits bei Freud. In feministisch-kritischer Wendung ist sie nachzulesen in Jessica Benjamin, Die Fesseln der Liebe. Psychoanalyse, Feminismus und das Problem der Macht, Frankfurt a. M. 1993. typo3/ Im Gegensatz dazu werden Jungen ermutigt, sich außer ihnen selbst liegenden Objekten wie Technik, Handwerk und Abenteuerreisen zuzuwenden. Das wird typischerweise mit Eigenschaften wie Neugier, Kraft und Aggressivität verknüpft – aber nicht damit, ein Gefühl für Schwächen, Ängste und das eigene Liebebedürfnis zu entwickeln. Auch die Objektbeziehungen von Jungs und Männern kranken also an patriarchal geprägter Einseitigkeit und können Feministinnen daher nur begrenzt als Vorbild dienen.
Zurück zur Sprachkritik: Die Kategorisierung »Mädchen« funktioniert nur, wenn die Heranwachsende am Beispiel ihrer Familienmitglieder, FreundInnen und LehrerInnen lernt, wie ein Mädchen zu sein hat und wie nicht, und wenn sie schließlich lernt, ihre körperlichen und libidinösen Bedürfnisse nach den gängigen Vorstellungen von Weiblichkeit zu dressieren. All diese Vermittlungsschritte, ohne die das Wort «Mädchen» völlig bedeutungslos wäre, werden von queerfeministischer Seite maximal als soziale Normen klassifiziert, die mit dem sprachlichen Ausdruck einhergehen. Normen gelten hier als Verfestigungen von wiederholten Handlungsweisen und stellen situativ gebundene Ausschnitte von Realität her – ohne über sie hinauszuweisen. Dass dem heteronormativen Handeln das Formprinzip eines längst globalisierten kapitalistischen Patriarchats zugrunde liegt, kann so nicht erfasst werden. Ein Feminismus, der auf der Ebene der Sprach- und Normenkritik verbleibt, verfehlt die Analyse des grundsätzlich frauenverachtenden Charakters dieses Patriarchats, das sich über Warentausch, Lohnarbeit und eine davon abgespaltene weibliche Reproduktionssphäre konstituiert. Wie Roswitha Scholz in Das Geschlecht des Kapitalismus beschreibt, ergeben diese beiden Sphären zusammengenommen eine totalitäre Gesellschaftsordnung, die sowohl direkt ökonomische als auch kulturelle, soziale und politische Ebenen umfasst. Diese Ebenen sorgfältig zu unterscheiden und zu kritisieren, um adäquate Handlungsmöglichkeiten auszumachen, ist die Aufgabe eines materialistischen Feminismus. Er kann beschreiben, dass sprachkritische Interventionen, die das Zweigeschlechtersystem torpedieren sollen, von dieser Ordnung unweigerlich nach der Form des Warentauschs verdinglicht werden und schlimmstenfalls dabei mithelfen, dass patriarchale Missstände ihr Unwesen fortan unterm Deckmantel einer von Geschlechtlichkeit befreiten Sprache treiben. Ein einseitiger Sprachfeminismus reflektiert nicht, dass sich über Sprach- und Verhaltensregelungen kein feministischer Bereich jenseits der Verdinglichung des kapitalistischen Patriarchats schaffen lässt. Folglich vernachlässigen viele queere Aktivistinnen die gesellschaftliche Realität und Repression, die dem sprachlichen Handeln zugrunde liegen beziehungsweise darin nicht aufgehen. Für sie sind es nur noch Wörter wie »Mädchen«, die das Geschlechterverhältnis festschreiben. Also übernimmt man die Verantwortung für das Geschlechterverhältnis und glaubt, es mit den richtigen Sprechakten korrigieren zu können. Der aggressive Impuls wird von der frauenausbeutenden Außenwelt abgezogen und ins eigene Subjekt sowie auf die Genossinnen verlagert. Damit gewinnen vor allem Falsch- und Nichtbezeichnungen eine geradezu dämonische Macht. Nicht erwähnt zu werden, kommt dann einer realen Vernichtung gleich. Der häufige Vorwurf etwa, man habe mit dem Sprechen über Frauen Transleute unsichtbar gemacht oder diesen gar die Existenz abgesprochen, hat die moralische Schwere, als habe man tatsächlich jemanden getötet. Dabei wird übersehen, dass es ignorant und diskriminierend sein kann, jemanden nicht zu benennen, dass Existenzen aber durch Krankheit, Alter, Unfall oder Mord beendet werden, nicht durch Sprechakte. Die Bedrohung sexueller und geschlechtlicher Minderheiten findet viel eher auf der Straße, in den Familien, in den Kliniken und Bullenrevieren statt als in queeren Szenen, die um die richtigen Worte ringen.Eindrucksvoll nachzulesen in Leslie Feinbergs Roman Stone Butch Blues, worin sie eine lesbische und trans Jugend in den USA der sechziger Jahre schildert. typo3/ Folglich sollten die heteronormative Öffentlichkeit, die bürgerliche Kleinfamilie, die Kliniken und Bullenreviere sowie ihr jeweiliger Zusammenhang mit der patriarchalen Gesellschaft viel eher Gegenstand der Kritik sein als die eigenen Genossinnen. Mitunter erschreckt das Ausmaß der queeren Selbstbezogenheit, die lieber auf die eigene Moral fixiert bleibt, als sich mit der politischen und sozialen Misere da draußen die Hände schmutzig zu machen.
Die gegeneinander gerichtete Wut und der Verfolgungseifer lassen viele Genossinnen eingeschüchtert verstummen. Dass sich in der queerfeministischen Szene viele nicht trauen offen zu sprechen, aus Angst, andere zu verletzen oder gar zu vernichten, zeugt von einem völlig undifferenzierten Gewaltbegriff. Er macht jede, die den Jargon nicht beherrscht oder sich im Pronomen vertut, zur Täterin und setzt sie mit realen Feinden wie der AfD oder der katholischen Kirche gleich.Zu den psychischen Mechanismen, die damit verbunden sind, siehe Caroline A. Sosat, Die betroffenheitsfeministische Dynamik. Zu Abwehrmechanismen in feministischen Gruppen, in: Patsy l’Amour LaLove (Hg,), Beißreflexe. Kritik an queerem Aktivismus, autoritären Sehnsüchten, Sprechverboten, Berlin 2017, 65-81. Die ständige Rede von Verletzung und Gewalt verkennt, dass Sprache ein Mittel zur Erkenntnis ist, man also, wenn man Objekte erkennen und kritisieren will, mit Worten hantieren muss, die sich dann als mehr oder weniger passend herausstellen. Sprache muss Feministinnen dazu dienen, gesellschaftliche Verhältnisse zu beschreiben. Es gilt, im Vertrauen auf die eigene Urteilskraft zu denken und zu formulieren und dabei Irrtümer zu riskieren, ohne vor Angst zu erstarren.
Gleichzeitig steht außer Frage, dass Sprache im Patriarchat nicht neutral ist, sondern Diskriminierung transportiert, und dass die selbstgewählten Bezeichnungen marginalisierter Gruppen berücksichtigt werden müssen. Sprachliche Repräsentation ist ein Teil des Kampfes von Frauen, Homosexuellen, MigrantInnen und Behinderten, an den Rechten des bürgerlichen Subjekts teilzuhaben. Ein materialistischer Feminismus muss sich hier der Gratwanderung aus Identitätspolitik und umfassender Gesellschaftskritik stellen. Eine Transfrau, die in beleidigender Absicht mit »er« angesprochen wurde, verdient Solidarität. Über der Solidarität darf aber nicht vergessen werden, dass jede Geschlechtsidentität, sei sie auch das Produkt langjährigen Ringens um Selbstbestimmung, im patriarchalen Geschlechterverhältnis situiert ist, dem sich niemand entziehen kann. Das Geschlechterverhältnis sperrt die Einzelnen in ein enges Korsett aus geschlechtsspezifischen Anforderungen, die längst nicht nur sprachlicher Art sind. Die queere Angst vor der Sprache als eigener, unvermittelt wirkmächtiger Realität hilft also niemandem, sich zu emanzipieren.
Ein Feminismus, der das Subjekt gegen die Zumutungen der patriarchalen Außenwelt verteidigen will, sollte dazu ermutigen, sich gegen geschlechtliche Zuschreibungen und vor allem die damit verbundenen Repressionen zu wehren. Damit feministische Kritikerinnen diese nicht immer wieder gegen sich selbst richten, muss die Auseinandersetzung der Selbstermächtigung und der inneren Stabilisierung zugutekommen. Empowerment-Politik hat seit jeher so agitiert: »I am beautiful no matter what they say / Words can‘t bring me down« (Christina Aguilera). Eine solche Stabilisierung macht außenwelttauglich, statt zu immer größerer Angst vor Vernichtung zu führen, nicht zuletzt durch die eigenen Genossinnen.
Die feministische Angst vor Aggressivität wird unerträglich, wenn statt Reflexion Sensibilität erwartet wird. Zu fordern, man habe als Feministin zuvörderst Rücksicht zu nehmen, sich belehren zu lassen und möglichst behutsam zu sein, statt dem Ärger nachzugehen, erinnert fatal an die Sanktionierungen der weiblichen Sozialisation. Es ist ein schlechter Tausch, für ständiges Sensibel-sein-Müssen unter Frauen die gemeinsame Kritik der patriarchalen Verhältnisse preiszugeben. Obendrein geht dabei eine vernünftige politische Solidarität verloren, die nicht die repressiv-weibliche Rollenerwartung erhebt die Genossin in ihren tiefsten psychischen Abgründen verstehen und auffangen zu müssen.
Gegen die Angst im Feminismus
Die Angst im Feminismus ist also eine Angst vor weiblicher Aggressivität. Feministinnen scheuen sich, ihre Aggressionen, die aus den patriarchalen Zumutungen rühren, gegen Objekte zu richten. Sie richten sie stattdessen gegen sich selbst und gegeneinander: vor allem in Form von Sprach- und anderer Verhaltensregulation. Der Queerfeminismus setzt Sprache mit weit gewalttätigeren Formen sozialen Handelns gleich; parallel dazu wird sich nicht mehr eingehend und unter einem weiten theoretischen Blickwinkel mit den Vergesellschaftungsprozessen auseinandergesetzt, denen Frauen unterliegen. Damit entzieht sich der kritische Zugang zur verdrängten weiblichen Aggressivität, was wiederum die großenteils unbewusste Angstdynamik verschärft.
In ihrem Roman Das Blut der anderen verarbeitet Simone de Beauvoir die Erkenntnis, dass es im Faschismus nicht mehr möglich war, selbstversunkenes Philosophinnen-Subjekt zu sein, weil das eigene Überleben zu eng an das ihrer Mitmenschen und an die politische Lage in Frankreich geknüpft war. Dieser umfassenden Verantwortlichkeit in die Augen zu sehen und ihren potenziellen Handlungsspielraum einzuschätzen, ist für die Protagonisten mit großer Angst verbunden. Nach langem Ringen entschließt sich Hélène, ihr Selbstgefühl als enttäuschte Geliebte hinter sich zu lassen und Sabotage gegen die Wehrmacht zu betreiben, wobei sie schließlich ihr Leben verliert.
Während Hélène in ihrer konkreten Bedrohungssituation keine andere Möglichkeit sieht, als mit der weiblichen Passivität völlig zu brechen, kann Barbara Sichtermann einen Schritt weitergehen. Wenn Frauen immer wieder die Erfahrung machen können, dass ihr aktives Begehren das Objekt nicht vernichtet oder vertrieben hat, ihnen die Möglichkeit subjekthaften Handelns also zunehmend offensteht, können sie sich auch der Lust an den passiven Anteilen des Begehrens öffnen. Die genießerische Hingabe, das Sich-Verlieren im Objekt seien Freuden, zu denen Frauen historisch eher befähigt sind. Diese weichen Seiten der Liebes- und Urteilsfähigkeit zu kultivieren, die Angst emanzipierter Frauen vor der Passivität und der Überwältigung durchs Objekt hinter sich zu lassen, wäre ein neues, aufregendes Kapitel feministischer Politik.
Allerdings leben wir nach wie vor im Patriarchat. Daher muss es die vorrangige Aufgabe eines materialistischen Feminismus bleiben, im Bewusstsein berechtigter Aggression der Außenwelt entgegenzutreten und, mit Sichtermanns Worten, das »Wagnis des Objekte-Bildens«Sichtermann, Von einem Silbermesser zerteilt, 79. einzugehen.
Koschka Linkerhand
Die Autorin lebt in Leipzig und ringt um einen materialistischen Feminismus in Theorie, pädagogischer Praxis und schöner Literatur. Ihr Blog: linkerhand.blogsport.eu