An den Grenzen des Geschlechterwandels

Geschlecht Macht Arbeit ist ein Sammelband, de euere Perspektiven der Geschlechterforschung zu Arbeitszusammenhängen darstellt. Arbeitszusammenhänge werden hier als Arenen vorgestellt, in denen Geschlecht hergestellt und verhandelt wird; gleichzeitig wird über Geschlecht festgelegt, was (keine) Arbeit ist. Vorgestellt werden Forschungsergebnisse des interdisziplinären Geschlechterkollegs »Geschlechterverhältnisse im Spannungsfeld von Arbeit, Politik und Kultur« der Hans-Böckler-Stiftung und der Philipps-Universität Marburg sowie weiterer ExpertInnen aus Wissenschaft und Kunst. Ziel ist, aktuelle Wandlungsprozesse zu analysieren, Machtverhältnisse auszuloten und politische Gestaltungsspielräume aufzuzeigen. Besondere Aufmerksamkeit wird dabei Geschlechterleitbildern, Re- und Dekonstruktionen von Geschlecht und verschiedenen Optionen politischen Handelns unter den Bedingungen der Prekarisierung gewidmet.

Geschlechterforschung scheint immer noch eine nahezu weibliche Domäne zu sein. Immerhin gibt es unter den 20 AutorInnen drei Männer; und zentrale Ansätze aus der Männerforschung, wie das Konzept der »hegemonialen Männlichkeit« von Robert W. Connell, sind bei verschiedenen Autorinnen und Autoren präsent. So entwickelt beispielsweise Patrick Ehnis in seiner Untersuchung geschlechtstypischer Arbeitsteilung nach der Geburt eines Kindes den Begriff der »hegemonialen Mütterlichkeit«. Dieser wird innerhalb des Konzepts von hegemonialer Männlichkeit verortet. Ausgangspunkt ist eine beobachtete (Re-)Traditionalisierung der Geschlechterrollen nach der Geburt eines Kindes. Dies gilt auch für »moderne« Paare, in denen Väter Erziehungszeiten übernehmen und grundsätzlich eine Berufstätigkeit beider Elternteile sowie eine gerechte Aufteilung bei kind- und haushaltsbezogenen Aufgaben begrüßt wird.

Ehnis lenkt den Blick auf voraussetzungsvolle Vorannahmen, die im Alltag jedoch in der Regel als »natürlich« und unveränderlich angesehen werden. Er greift u. a. den Diskurs über die Notwendigkeit des mütterlichen Stillens für die physische und psychische Gesundheit des Kindes auf. Das Stillen durch den Mann mit der Flasche gilt in Deutschland als mangelhafter Ersatz, im Gegensatz z. B. zu Frankreich, wo das »natürliche« Stillen eher unüblich ist. Solche »Formen geschlechtsbezogener Praktiken und Zuschreibungen, welche die Präsenz von Müttern (statt von Vätern) bei der Kinderbetreuung sichern« nennt Ehnis hegemoniale Mütterlichkeit. Hier geht es um ein »selbstverständliches Einverständnis« von Männern und Frauen in eine geschlechtstypische Arbeitsteilung, die Frauen langfristig benachteiligt (bezogen auf Macht, Anerkennung, Geld und Einfluss).

Almut Sülzle greift das Konzept hegemonialer Männlichkeit ebenfalls in spannender Weise auf. In ihrer ethnografischen Perspektive auf die (deutsche) Fußballkultur zeigt sie, wie unterschiedliche Männlichkeiten gleichzeitig existieren und gerade in ihrer Verschränkung hegemoniale Männlichkeit stabilisieren. Connells häufig kritisierte Fixierung auf Männlichkeiten erweitert Sülze um den Blick auf ein Agieren von Frauen, das nicht nur die Kehrseite, eine Art Negativfolie, von Männlichkeit darstellt. Am Beispiel weiblicher Fußballfans zeigt sie, wie Frauen sich Männlichkeitsbilder aneignen. Dies wird möglich, da sich die Abgrenzung der Fußballmännlichkeit(en) auf Weiblichkeit, nicht jedoch auf Frauen bezieht. Frauen können sich so ebenfalls gegen diese Weiblichkeit stellen, die hier eine sehr klischeehafte, rosa-gerüschte ist und sich u. a. an einer Ablehnung des so wahrgenommenen Cheerleading festmacht. Männlichkeit wird im Fußball auf diese Weise auch von Frauen konstruiert. Sülzles Interviewpartnerinnen empfinden die Teilhabe an der männlichen Fankultur als Zugewinn für ihr Leben auch außerhalb der Stadien, verweisen dabei jedoch gleichzeitig auf Schwierigkeiten.

Die Darstellung des aktuellen Geschlechterwandels fällt im Buch eher ernüchternd aus. Sichtbaren Verschiebungen der Grenzen von Zweigeschlechtlichkeit und Heteronormativität steht eine enorme Stabilität der Geschlechterhierarchien entgegen. Wer meint, Frauen und Männer haben doch heutzutage längst die gleichen Möglichkeiten, wird hier ebenso gebremst wie diejenigen, die das Spiel mit queeren Identitäten als radikale Veränderung ansehen. Es kann als Qualität des Buches gesehen werden, dass in den verschiedenen Beiträgen beides zur Sprache kommt: Suchbewegungen und Ansatzpunkte für (pragmatische) Interventionen ebenso wie die Darstellung ihrer Begrenztheit.

Einleitungs- und Zusammenfassungskapitel erleichtern die Lesbarkeit und bieten die produktive Chance, die einzelnen Aufsätze trotz der Unterschiedlichkeit der Forschungsfelder zusammenzudenken. Etwas unbefriedigend bleibt das Buch dem Fokus auf kulturelle Prozesse und Identitätspolitiken verhaftet. Auch die systematische Auseinandersetzung mit den Verflechtungen von Ethnizität, Klasse und Geschlecht wird eher angeregt als bereits eingelöst. In der Darstellung und Analyse schärfen die Betrachtungen jedoch den Blick und bieten zahlreiche Anregungen für weitere Auseinandersetzungen.

Marburger Gender-Kolleg (Hrsg.): Geschlecht Macht Arbeit. Interdisziplinäre Perspektiven und politische Interventionen, Westfälisches Dampfboot, Münster 2008, 246 S. ,€27,90.

LILLY BOSCH