Spätestens seit den Erfolgen der Alternative für Deutschland (AfD) bei den letztjährigen Landtagswahlen und verstärkt durch die aktuelle Bundestagswahl wird in Fachpresse und Feuilleton ein Gespenst beschworen, das Deutschland und weite Teile der Welt fest im Griff habe: das Gespenst des Populismus. Keine sozialwissenschaftliche Tagung, in der nicht um die (Neu-)Definition des omnipräsenten wie ominösen Begriffs gerungen wird, keine Zeitungsausgabe, in der das Thema nicht Erwähnung findet. Auch wenn es durchaus brauchbare Analysen des Populismus als spezifischer Form von Politik gibt, besteht aufgrund der Fixierung auf jenes Modewort die Gefahr, dass eine Auseinandersetzung mit seinen Inhalten unter den Tisch fällt. Dies betrifft insbesondere die öffentliche Wahrnehmung der radikalen Rechten, deren Verniedlichung zu »Rechtspopulisten« gang und gäbe ist.
Jene Begriffskonjunktur an sich vorüberziehen zu lassen und stattdessen die Brisanz der politischen Inhalte von AfD, Pegida & Co. zum Thema zu machen, ist das Verdienst des neuesten Buches von Samuel Salzborn. In dessen Zentrum steht die in Deutschland beheimatete Neue Rechte, deren AkteurInnen, Ideen und Strategien einer eingehenden Analyse unterzogen werden. In zehn knapp gehaltenen Kapiteln führt der Autor den überzeugenden Nachweis, dass jenes Milieu in die Tradition völkischen Denkens eingeordnet werden kann – und auch muss. Nur auf diese Weise werde das Erstarken der Neuen Rechten angemessen verstehbar. Salzborn nähert sich der Thematik aus verschiedenen Richtungen an. Zum einen nimmt er den religiösen Irrationalismus, den Antisemitismus und die antiwestliche Russlandbegeisterung neurechter IdeologInnen in den Blick. Darüber hinaus bestimmt er die soziale Basis für jenes Gedankengut hinsichtlich ihrer ökonomischen Lage sowie ihres Sozialcharakters. Neben einem besonderen Fokus auf der AfD, deren politische Grundsätze und öffentliche Auftritte problematisiert werden, sind die strategischen Überlegungen des außerparteilichen Arms der Neuen Rechten zum Kampf um kulturelle Hegemonie und zur Funktion sozialer Medien Gegenstand der breit gefächerten, mitunter ein wenig unzusammenhängend wirkenden Betrachtungen.
Ein besonderes Augenmerk des Buches liegt auf dem ideengeschichtlichen Hintergrund der Neuen Rechten, der bis zur sogenannten Konservativen Revolution zurückverfolgt wird. Originell ist das nicht, andere AutorInnen haben in letzter Zeit ähnliches getan. Jedoch rechtfertigen die von Salzborn herausgestellten Verbindungslinien zwischen Vergangenheit und Gegenwart das ungebrochene Interesse an jener Ideologieströmung. Die Konservative Revolution, die seit geraumer Zeit den zentralen Referenzpunkt für die nicht-nazistische Rechte inner- und außerhalb Deutschlands bildet, war in den zwanziger und frühen dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts durch ihre antiaufklärerischen Offerten maßgeblich daran beteiligt, das demokratische System der Weimarer Republik zu diskreditieren. Eine besondere Rolle spielte dabei der Staatsrechtler und »Kronjurist des Dritten Reiches« Carl Schmitt, der gewissermaßen auch Dreh- und Angelpunkt von Salzborns Untersuchung ist. Dieser Fokus auf das antidemokratische und antiliberale Denken Schmitts ist einer der stärksten Aspekte des Buches: Nicht nur kann auf diese Weise gezeigt werden, dass dessen Positionen und Begriffe für die Neue Rechte – von der Identitären Bewegung bis hin zur AfD – aktueller denn je sind. Der Rekurs auf Schmitt lässt zudem ermessen, wohin eine neurechte Politik, die ihn zum Gewährsmann hat, führt: zum Angriff auf all jene, die nicht zum Volk dazugehören dürfen. Wenn in Dresden der »wahre Volkswille« beschworen und im Grundsatzprogramm der AfD die prinzipielle Dysfunktionalität parlamentarischer Institutionen behauptet wird, verbirgt sich dahinter – so lässt sich mit Schmitt und dank Salzborn verstehen – eine Fundamentalopposition zur westlich-liberalen Demokratie. Deren (zumindest theoretisch geltende) Prinzipien von universeller Gleichheit, individueller Freiheit und pluralistischer Gesellschaft wird eine Ideologie entgegengehalten, die die Ungleichheit von Völkern und Kulturen, totale Ordnungsphantasien und eine Gemeinschaft von ethnisch Gleichartigen postuliert.
Diese völkische Dystopie vor Augen erscheint Salzborns abschließendes Plädoyer für eine konsequente Ausgrenzung von AfD und Konsorten aus dem politischen Raum sinnvoll. Eine Frauke Petry, die den Begriff völkisch wieder in die Sphäre des politisch Sagbaren aufnehmen möchte, ist eben nicht bloß Populistin, sondern ausgewiesene Feindin der freiheitlichen Demokratie und muss als solche behandelt werden. Zugegeben: Einer linken Leserschaft, deren Sympathie für die Bundesrepublik sich in Grenzen hält, mag Salzborns entschlossene Parteinahme für das Grundgesetz zu affirmativ daherkommen, angesichts der völkischen Alternative ist die Verteidigung von letzterem aber – das wird bei der Lektüre deutlich – schlichtweg notwendig.
Ludwig Decke
Samuel Salzborn: Angriff der Antidemokraten. Die völkische Rebellion der Neuen Rechten, Beltz Verlag, Weinheim/Basel 2017, 223 S., € 14,95.