Die jüngste Ausgabe der wertkritischen Zeitschrift krisis widmet sich den Themen Islamismus, Antisemitismus und »Kulturalismus« unter dem ominösen Titel Kreuzzug und Jihad. Wie der Titel schon ankündigt, geht es den KrisentheoretikerInnen in erster Linie darum, besagte Phänomene historisch zu verorten und ihre »wahre« Herkunft darzulegen. Schon im Editorial wird die These aufgestellt, die alle folgenden Beiträge durchdeklinieren: Der »Westen« reagiere im Zuge des »fortschreitenden globalen Krisenprozesses« (5) des Kapitalismus mit rassistischer, kulturalistischer »aggressiver Identitätspolitik« (6) auf Phänomene wie den gewalttätigen politischen Islam, die aber selbst nichts anderes seien, als die neusten, sozusagen hausgemachten Erscheinungsformen des besagten Krisenprozesses. Der westliche Kampf gegen den islamischen Fundamentalismus, so der Grundtenor der Ausgabe, sei einer gegen das eigene hässliche Spiegelbild.
Norbert Trenkle diskutiert in seinem Beitrag Kulturkampf der Aufklärung den »identitätspolitischen Diskurs der ›westlichen Werte‹,« (7) deren universelle Geltung er einerseits bei Samuel Huntington kritisiert findet, die andererseits aber von »Liberalen« verabsolutiert würden. In der Konsequenz zielten beide auf die gleiche »Propaganda für ein globales Programm der Unterdrückung« (ebd.), und die »westlichen Werte« dienten allein der Rechtfertigung der Exklusion der in der Krise überflüssig Gewordenen. Während Trenkle durchaus treffend zeigt, wie sich das Paradigma der »Kultur« nach dem Ende des Kalten Kriegs weitgehend durchgesetzt hat, verfällt seine sich mehrfach auf die Dialektik der Aufklärung berufende Kritik an aufklärerischem Denken dem heute üblichen Aufklärungsbashing: Der Universalismus der »westlichen Werte« könne keinerlei Basis für emanzipatorische Politik liefern. Von einem traditionell linken Interpretationsschema, das die Wurzeln des Problems allein in einer »neo-kolonialistischen Perspektive« (27) des »Westens«, einer rassistischen »Kulturalisierung der Krisenprozesses« (ebd.) und in der »ungeheuren imperialistischen Dynamik« (18) des Kapitalismus verortet, kann sich Trenkle nicht lösen.
In seinem Beitrag Die Exhumierung Gottes versucht Ernst Lohoff, die historische Genese des Islamismus, für den er den etwas unbeholfen wirkenden Begriff des »islamischen Religionismus« (47) einführt, als modernes, »genuin wertgesellschaftliche[s] Phänomen« (ebd.) darzustellen, das die ausgediente Ideologie des Nationalismus in Zeiten der »Krise der nationalstaatlichen Form« (75) ersetze. Er sieht darin einen Modernisierungsagenten, dessen »Anti-Okzidentalismus« (47) selbst rein westlicher Herkunft sei: Weniger in der islamischen Tradition und im Koran, als in der idealistischen Philosophie und der Romantik bei Fichte, Rousseau, Novalis und – man lese und staune – gar bei Kant sieht Lohoff die Vorbilder zu dieser Form von »Gegenaufklärung« (37). Während er ganz richtig das moderne Moment des islamistischen Anti-Modernismus herauskehrt, verabsolutiert er es zugleich. Darüber geht ihm der Blick auf die spezifischen Verquickungen von modernen und vormodernen gesellschaftlichen Verhältnissen, von recyceltem ideologischem »Import« und islamischer Tradition, sowie auf deren unheimliche Kompatibilität verloren. Die globale Geschichte der Moderne wird komplexitätsreduzierend auf die »negative Universalzivilisation des Werts« (31) zusammenkürzt. Damit kann Lohoff die Frage nach der historischen Differenz von ökonomischer und intellektueller Entwicklung kaum mehr sinnvoll stellen. Die entscheidende Frage einer vergleichenden Perspektive wäre dagegen, warum vor allem die »dunklen«, selbstzerstörerischen Seiten der Aufklärung einen Impact auf »den Orient« (42) gehabt zu haben scheinen – während die Kant’schen Ideen von Mündigkeit und Freiheit, sowie die Konzeption einer säkularen demokratischen Gesellschaft offenbar keine große AnhängerInnenschaft finden konnten.
Der Text von Claudia Globisch Was ist neu am ›neuen Antisemitismus‹? kommt zum wenig überraschenden Schluss, dass die heutigen Formen von modernem Antisemitismus im wesentlichen Altes in neuem Gewand darstellen bzw. sich allein in ihren jeweiligen »Kontextbedingungen« (100) von älteren oder anderen Formen unterscheiden. Der letzte thematische Beitrag des Heftes von Karl-Heinz Lewed Das Finale des Universalismus versucht, den Islamismus als »(post)politische Verfallsform der nachholenden Modernisierung« (106) zu erklären, um zugleich den »westlichen Universalismus« als diesem »komplementäre Verarbeitungsform der krisenkapitalistischen Globalisierung« (105) zu entlarven.
Im Fazit lässt sich dieser Ausgabe der krisis eine tendenzielle Perspektivenverengung auf die Krisenhaftigkeit der modernen warenproduzierenden Gesellschaft attestieren, aus der alle ideologischen, politischen und religiösen Phänomene abgeleitet werden. Gerade weil das alles aber so einfach aufgeht und weil im Angesicht der universalen Krise die historischen und gegenwärtigen Besonderheiten verloren zu gehen scheinen, sei zu Vorsicht gemahnt.
~Von Sebastian Tränkle.
Krisis: Beiträge zur Kritik der Warengesellschaft 32 (2008), Unrast Verlag, Münster, 168 S., € 10,00.