Alles fängt an, nix hört auf

Kritik der Kritik: Ein Plädoyer für die Politik oder warum eine Gesellschaftskritik, die diese Gesellschaft nur an ihren Idealen kritisiert, ausschließlich zum besser wissen taugt - am Beispiel des "Revolutionären Antifaschismus".

Der kurze, aber heiße Anti-Nazi Sommer der Bundesregierung, die daraus folgende Konfusion einiger Teile der Antifa-Bewegung und die Selbstauflösung der Antifaschistischen Aktion/ Bundesweite Organisation haben eine lange schwelende Diskussion, die über den sogenannten Revolutionären Antifaschismus, wieder einmal entfacht. Angesichts der passierenden und sich noch in Planung befindenden Schweinereien und einer in weiten Teilen (noch?) Konzeptions- bzw. relativ wirkungslos agierenden radikalen Linken in der BRD und anhand einer Kritik des revolutionären Antifaschismus (rA) in einem Artikel aus der letzten Phase 2, wollen wir erläutern, warum wir den Ansatz des rA für richtig und die vorgetragene Kritik an ihm in ziemlich vielen Punkten für ziemlich falsch halten.

Um sich nicht ständig im Kreis zu drehen, ist es nötig, eine Definition dessen zu geben, was zumindest im Grossen und Ganzen mit dem Begriff "Revolutionärer Antifaschismus" gemeint sein kann.
Revolutionärer Antifaschismus ist der Versuch, die Trennung zwischen dem Ansinnen, revolutionäre/radikale Inhalte zu verbreiten und zu vertreten, und dem Anspruch, in den gesellschaftlichen Diskurs einzugreifen und gesellschaftliche Kräfteverhältnisse direkt zu beeinflussen - also Politik zu machen -, aufzuheben.
Im Bewusstsein, dass sie, die radikale Linke, Selbst ein Kind der Aufklärung ist, wird an positive Werte (Ideale) der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft, die nichts anderes als eine grausame Mutation des zugrundeliegenden Emanzipationsgedankens ist, angeknüpft, um die herrschende Realität durch die eigenen Widersprüche als Mutation aufklärerischer Gedanken zu demaskieren.
 

Antifa – it's what you make of it

Antifaschismus bietet sich an, da auf der einen Seite der Kampf gegen Faschismus die Grundvoraussetzung dafür ist, überhaupt den Spielraum für eine linksradikale Kritik der Verhältnisse zu haben. Es also ganz platt um die Aufrechterhaltung der Geschäftsgrundlage geht. Auf der anderen Seite, weil ein konsequenter Antifaschismus sich eben doch gegen die Verhältnisse richten muss, die faschistische bzw. faschistoide Bewegungen als Reaktion auf die Unfähigkeit der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft, ihre Glücksversprechen (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit) einzulösen, immer wieder hervorbringen. Ja, sie sogar hervorbringen müssen, da der Kapitalismus seine Stabilität auf Krisen aufbaut. Dieser Widerspruch zwischen an sich erst einmal emanzipatorischer Theorie - Mensch als Subjekt, Freiheit, Brüderlichkeit (...) - und der täglichen Praxis des bürgerlich-kapitalistischen Systems - Ausbeutung, Unterdrückung, Konkurrenzkampf - produziert immer wieder Bewegungen wie aktuell z.b. die Taliban, die aus der Nichteinlösung der bürgerlichen Glücksversprechen flugs die Notwendigkeit der Vernichtung des "Glückes", anstatt dessen konsequente Einlösung ableiten. Wer also das entstehen von im weitesten Sinne faschistischen Bewegungen verhindern will, der sollte sich um die direkte Umsetzung der Glücksversprechen der Aufklärung kümmern. Die Funktion des rA ist nun, bei jeder Gelegenheit deutlich zu machen, dass dies nicht mit beispielsweise mehr Sozialarbeit, sondern nur jenseits der bestehenden Gesellschaftsordnung verwirklicht werden kann.
Und Last but not least ist Antifa-Arbeit, nicht erst seit Rot-Grün, der einzige "Teilbereich", in dem sich durch die, zwischen Radikaler Linker und bürgerlicher Gesellschaft scheinbar übereinstimmend bestehende, Ablehnung faschistischer Bewegungen, der "extremen Barbarei", die Möglichkeit ergibt, die organisierte Barbarei der kapitalistischen Gesellschaft zu thematisieren. Dies bedeutet, in den Ring des gesellschaftlichen Diskurses zu steigen und die Widersprüche des staatlichen Anti-Nazi-Kampfes bzw. des bürgerlichen Antifaschismus zuzuspitzen und, wie in der Parole "Nazis morden, der Staat schiebt ab -das ist das gleiche Rassistenpack" so schön auf den Punkt gebracht, zu demaskieren. Das heißt also, dieser Gesellschaft bei jeder Gelegenheit, in welcher Form auch immer, das Diktum "wer vom Kapitalismus nicht reden will, der sollte auch zur Gewalt schweigen" um die Ohren zu hauen. Das Einsteigen in den gesellschaftlichen Diskurs bedeutet dann übrigens auch, den Kampf um die Definitionshoheit über Begrifflichkeiten wie z.b. "Antifaschismus" (wieder) aufzunehmen.
Antifaschismus an sich ist nicht revolutionär, er kann aber dazu gemacht werden. Konkreter: die reine Verhinderung eines Naziaufmarsches ist nicht revolutionär. Dass es aber durchaus Möglichkeiten gibt, an die Situation angepasst revolutionäre Aktivitäten zu entfalten, hat das BgR am 1.9.01 in Leipzig in Ansätzen gezeigt.
Der Vorwurf der Kritiker des rA, dass der Versuch, "Antifaschismus revolutionär aufzuladen" den Kampf gegen Faschisten fahrlässig schwächen und spalten würde, stößt nicht nur in die fragwürdige, normalerweise von Linksruck und Konsorten strapazierte, Einheitsfronttröte, sondern geht auch ob der momentanen gesellschaftlichen Unbedeutung der Nazis weit ins Leere. Er offenbart jedoch den zugrundeliegenden Dissens über das Machen von Politik innerhalb der Linken.
 

All about the Politics

Wer diese Gesellschaft nur an ihrem Ideal kritisiert, analysiert zwar den formalen Aufbau der bürgerlichen Gesellschaft richtig, verkennt jedoch, dass die Ideale der bürgerlichen Demokraten eben doch andere sind. Die anzustrebenden demokratischen Ideale sind doch Individualität und Selbstbestimmung, und deswegen leidet auch jeder echte Demokrat so unter dieser tiefen inneren Zerrissenheit angesichts der Toten an den Grenzen der Festung Europa, und auch Gefängnisse findet keiner toll - nach dem bürgerlichen Selbstverständnis sind sie nur leider notwendig. Die Funktion der radikalen Linken sollte es nun sein, lautstark deutlich zu machen, dass Gefängnisse, Kriege, staatliche Gewalt etc. eben nicht notwendig für den Menschen, sondern notwendig für die Aufrechterhaltung des kapitalistischen Systems sind, und dass es andere, weil bessere, weil humanere Möglichkeiten gibt, die Gesellschaft zu organisieren.
Ausgehend von dieser Analyse wäre es also notwendig, sich in das Gestrüpp des täglichen Erlebens der kapitalistischen Gesellschaft zu begeben und die Nöte und Sorgen der Menschen ernst zu nehmen und sich dazu zu verhalten - also Politik zu machen.
Wenn Widersprüche ein notwendiger Teil der kapitalistischen Gesellschaft sind, wäre es eine mehr als fahrlässige Aktion, sich aus Angst vor der Gratwanderung zwischen Reformismus und Revolution (auf die sich Politik in dieser Gesellschaft immer begeben muss) aus den täglichen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen - in denen sich auch immer der Wahnsinn des Systems spiegelt - rauszuhalten. Widersprüche bzw. Teilbereiche wie Rassismus, Sexismus, Faschismus, Umweltzerstörung etc. sind an sich zwar nicht notwendige Folgen der bürgerlichen Demokratie, und einzelne Widersprüche lassen sich auch mehr oder weniger auflösen - siehe Atomkraft - aber die Systematik der sinnlosen Widersprüche lässt sich nicht Überwinden, ohne das sinnlose System zu Überwinden. Genauso, wie deutlich gemacht werden muss, dass eine kapitalistische Gesellschaft nie ihre Versprechen einlösen kann, muss revolutionärer Antifaschismus deutlich machen, dass das immer abgefuckte Metaphysiker produziert, die von Glück und Emanzipation überhaupt nix mehr wissen wollen und deshalb eine andere Welt nicht nur möglich, sondern auch bitter nötig ist. Wer also der bürgerlichen Gesellschaft nicht mehr ihre selbst eingeräumten Fehler vorwirft und so nicht versucht, die Zusammenhänge sichtbar zu machen, überlässt gerade dieser (der bürgerlichen Gesellschaft) unnötig das Feld und wird zum Theoretiker, der höchstens noch die Gewissheit des Besserwissens über den formellen Aufbau der Gesellschaft hat. Dies hat jedoch weder Bezug zur gesellschaftlichen Realität, noch bietet es eine Perspektive auf Veränderung eben dieser. Und eine radikale Linke, die aus der angestrebten Negation der Verhältnisse eine Negation der Politik macht, ist schon keine mehr. Politik machen - das sich Begeben in und das Beziehen auf aktuelle Auseinandersetzungen und deren Vermittlung - ist auch ohne konstruktives Mitarbeiten im System möglich und gerade da nötig. Den einen "Historischen Sprung", hin zu einer besseren Gesellschaftsform, wird und kann es nicht geben. Eine bessere Gesellschaftsform wird nur durch viele kleine Schritte erreichbar sein. Es ist also notwendig, Politik zu machen, um die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse zu verschieben und aufzuzeigen, dass eine andere Welt nicht nur nötig ist, sondern auch, wie sie vielleicht möglich sein könnte. Mit revolutionären Antifas wird dabei dann auch kein Staat zu machen sein - sehr wohl aber Politik.
 

Motivé - Organisé ...

Die Ereignisse der letzten Zeit, vom Krieg bis zur Notwendigkeit der Weiterentwicklung der Globalisierungsbewegungen, schreien geradezu nach einem neuen Organisierungsversuch. Das Ziel dieses Versuches müsste es dann auch dementsprechend sein, aktiv in die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen - und das nicht nur lokal/punktuell, sondern koordiniert - einzugreifen, um dem Wahnsinn der Verhältnisse den Spiegel vorzuhalten. Richtig verstandener revolutionärer Antifaschismus bietet dafür einen guten Ausgangspunkt. Unter welchem Label dann letztendlich Politik gemacht wird, ist dabei egal. Wichtig ist jedoch die revolutionäre Perspektive -> das Einnehmen der 3. Position im täglichen Überleben. Und die sollte Mensch nicht so einfach aufgeben.

Ak Max
Rhein-Main