»Aber meine Feder hat länger gehalten«

Im Jahr 1936 entkam der in Prag geborene und in München ausgebildete Walter Trier nur knapp einer Verhaftung durch die Gestapo. Zuvor in Zeitungs-, Verlags und Theaterwesen fest verankert, ließ der damals 43-Jährige seinen Besitz und seine Karriere in Berlin, um nach London zu emigrieren. Trier illustrierte einige der bekanntesten Kinder- und Jugendbücher seiner Zeit und erfreute sich wegen seines besonderen Witzes zwischen reiner Sachlichkeit, politischem Kommentar und Groteske bei Zeitgenoss:innen großer Beliebtheit. Neben den Illustrationen zu den Geschichten Erich Kästners zählen sowohl Klassiker wie Mark Twains Tom Sawyer und Huckleberry Finn als auch Till Eulenspiegel und Die rote Zora zu den Werken, welche er mit Feder und Tusche ergänzte. 

Auch im Exil verebbte Triers Zusammenarbeit mit Kästner nicht. Durch seine Bekanntheit geriet der Neubeginn in London keinesfalls holprig, wodurch er schnell wieder Fuß fassen konnte. Seine politischen Karikaturen und Presse-Zeichnungen durchlebten dabei unter unterschiedlichen Auftraggebern einen Werdegang von moralisierenden zu demoralisierenden Absichten. Mit Kriegsbeginn wurden einige von ihnen zunehmend düster. Trier und seine Ehefrau überstanden die Bombardierungen des Weltkriegs unbeschadet, verließen jedoch anschließend London. Nach dem euphorisch gefeierten Kriegsende erhielten sie zwar die britische Staatsbürgerschaft, emigrieren jedoch nach Kanada zur gemeinsamen Tochter. Im Jahr 1951 starb Walter Trier an einem Herzinfarkt. In Deutschland kennen die folgende Grafiker:innengenerationen Trier nur durch unveränderte Neuauflagen. 

Zwischen 1942 und 1944 bewies sich Trier in London vor dem Ministry of Information und wurde durch Auftragsarbeiten zur künstlerischen Hand der britischen Agitationsbestrebungen gegen den Nationalsozialismus. Bereits in zweiter Auflage sind nun Triers weitestgehend in Vergessenheit geratene Flugschrift-Zeichnungen unter dem Titel Nazi-German in 22 Lessons bei der Verlagsagentur Bodo von Hodenberg/Favoritenpresse erschienen. Die von der Royal Air Force über Deutschland und den von den besetzten Gebieten abgeworfenen Heftchen sind Teil seiner wenigen unsignierten Produktionen. Inflationär verwendete Kampfbegriffe des NS-Staats wie »Lebensraum«, »Nichtangriffspakt« oder »Der arische Typus« nimmt Trier mit seinen Zeichnungen humorvoll auf die Schippe. Die Kompositionen lehnen sich dabei subtil bis offensiv an die Werke alter Meister an. In Deutschland stand der Besitz von Trier-Zeichnungen während des Kriegs unter Todesstrafe. 

Triers Karikaturen sind voraussetzungsvoll. Die Rückbindung an das Thema Flucht aus dem faschistischen Deutschland ins rettende Exil, die fragilen Beziehungen zwischen skeptisch beäugten deutsch-jüdischen Künstler:innen und der britischen Regierung, insbesondere dem Ministry of Information, sind für das Verständnis des Entstehungskontextes der Karikaturen elementar. Diese Zusammenhänge, mit denen sich die Herausgeberin Antje M. Warthorst und auch andere Expert:innen dieses Genres in früheren Publikationen bereits beschäftigt haben, kommen in den Anmerkungen zu den 22 Lektionen, die vornehmlich Motive, Formen und Sprache kontextualisieren, etwas zu kurz. Wer sich abseits eines amüsierten Durchblätterns tiefere Einblicke in den politisch-historischen Zusammenhang erhofft, wird etwas enttäuscht werden und muss selbst in die Recherche gehen. 

Mit seinen Zeichnungen zählt Trier zu den vielen jüdischen Künstler:innen, deren Werke durch den Nationalsozialismus gewaltvoll aus der kulturellen Praxis verdrängt wurden und denen man heute nur die Hoffnung auf eine Wiederverankerung im Kanon wünschen kann. Trier selbst gelang der Umgang in drei Karrieren in unterschiedlichen politischen Kontexten. Ob im Zwischenkriegsdeutschland, im Vereinigten Königreich von 1936 bis 1947 und in seinen letzten Jahren in Kanada: durch seine Anpassungsfähigkeit reicht der zunächst fröhliche, beinahe drollige Stil bis in die politischen Karikaturen vor Kriegsbeginn. Letztere fallen in eine Zeit, in denen die Ästhetisierung der Politik rasante Fahrt aufnimmt und das Thema Massenbeeinflussung in aller Munde liegt, während der schwierige Sonderweg der »deutschen Kulturnation« sich verhärtet. Die Ambivalenz der Moderne, zwischen rasantem Fortschritt und sich ausdifferenzierender Kultur bei gleichzeitiger permanenter sozialer und wirtschaftlicher Krise, bildete ein vielschichtiges Arbeitsfeld für Künstler:innen, die sich wie Trier in den elitären Rängen der Akademie wenig aufgehoben fühlten und sich ihre Signatur zwischen Illustration, Gebrauchsgrafik, Theater und Film schufen. Zeitgenossen betonen die milde und eher harmlose Gutmütigkeit seiner Zeichnungen, den fehlenden Fokus auf die oft ausgefeilte handwerkliche Qualität bemerkt Warthorst in der Vorgängerpublikation. 

Nach Walter Benjamin ist für eine materialistische Kunstgeschichte die Rekonstruktion der Rezeption ähnlich wichtig wie die Beurteilung der Dauer des Erfolgs. Dies jedoch stellt sich an (Lebens-)Werken schwierig dar, die durch Flucht und Exil der Urheber:innen nur in Teilen oder gar nicht mehr erhalten sind. Nazi-German in 22 Lessons ist in erster Linie ein Vorschlag, sich kurzweilig und vielleicht hämisch schmunzelnd mit dem Medium der politischen Karikatur auseinanderzusetzen. Abseits davon liefert das Werk, was es ankündigt zu sein: einen Schritt dahin, jüdische Beiträge zur Illustration, die vor 1933 genauso selbstverständlich wie auch häufig tonangebend waren, in einen Kanon zurückzuführen – als Versuch aufzuzeigen, wie Jüd:innen wie Trier mit dem eigenen Medium aus dem Exil heraus in den Widerstand gingen. 

 

Rike Schreiber 

 

Walter Trier, Nazi-German in 22 Lessons. Including useful information for Führers, Fifth Columnists, Gauleiters and Quislings. 2. Auflage, Verlagsagentur Bodo von Hodenberg, Berlin 2022, 80 S., € 12,00.