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Die Letzte macht das Licht aus

Probleme und Ideologien des Klimawandels

Frühjahr 2024

Editorial

Im November 2023 befinden wir uns in den letzten Zügen der Heftproduktion, unter dem Eindruck des historischen Massakers der Hamas an Jüdinnen und Juden und dem um sich greifenden Antisemitismus. Vor einem Jahr, ungefähr zur Zeit als unser letztes Heft herauskam, waren sich die meisten Linken hierzulande sicher: Antisemit:innen, das sind die Nazis, die AfD-Wähler:innen und die Corona-Leugner:innen. Reflexion auf den Antisemitismus in den eigenen Reihen? Fehlanzeige. Schon die Gedenkdemos im Februar 2022 anlässlich des Terroranschlags in Hanau wurden durch pro-palästinensische Gruppen vereinnahmt, die keinen Hehl aus ihrer Verachtung von Jüdinnen und Juden machten. 2023 waren an gleicher Stelle Sprechchöre wie »Von Hanau bis nach Gaza, Yallah Intifada« zu hören. Weiter

Inhalt

Top Story

Walther Zeug & Lisa Mast

Der ideologische Fußabdruck des Kapitalismus

Die Krise gesellschaftlicher Naturverhältnisse, individualisierter Konsumkritik und unpolitischer politischer Bildung

In der ökologischen, sozialen und ökonomischen Dauerkrise des Kapitalismus ist es gegenwärtig vor allem die fortschreitende Zuspitzung des anthropogenen Klimawandels, die für viele ein Handeln notwendig erscheinen lässt. Dass es unaufhaltsam ›so weitergeht‹, ist die Katastrophe für eine jüngere Generation, die sich in verfinsternden Zukunftsvisionen um ihr Glücks- und Fortschrittsversprechen betrogen sieht: »It's like we are stuck in a hamster wheel, everyone is blaming each other« (Greta Thunberg). Weder Klimakonferenzen noch staatliche Reformen oder corporate responsibility konnten bisher einen effektiven Beitrag zur Lösung der sozialökologischen Krise leisten, geschweige denn ein Gefühl von Zuversicht oder Hoffnung verbreiten. Stattdessen erleben wir eine gesteigerte Ideologieproduktion, die im notwendig falschen Bewusstsein neoliberaler Vergesellschaftung, in individueller Verantwortung und individuellem Handeln, vermeintliche Auswege aus dieser Krise sucht. In Herrschaftsverhältnissen, die die ökonomische Strukturlogik eines expansiven Wachstums fortwährend (re-)produzieren, erscheinen diverse Formen der Moralisierung und Individualisierung auch im Kontext der Klimabildung von Kindern und Jugendlichen als populäre Methoden.  Weiter…

Phase 2

Die Letzte macht das Licht aus

Einleitung zum Schwerpunkt

In den Debatten über den menschengemachten Klimawandel tauchte in den letzten Jahren vermehrt der Begriff des Ökozids in der politischen Öffentlichkeit auf. Er bezeichnet, nach der bisher nicht ratifizierten Definition eines unabhängigen Expert:innengremiums, »rechtswidrige oder willkürliche Handlungen, mit dem Wissen begangen, dass eine erhebliche Wahrscheinlichkeit schwerer und entweder weitreichender oder langfristiger Schäden für die Umwelt besteht, die durch diese Handlungen verursacht werden«. Der Tatbestand des Ökozids soll ein juristisches Instrument bereitstellen, mit dessen Hilfe künftig konkrete Verursacher:innen, staatliche wie nicht-staatliche Akteur:innen bis hin zu einzelnen Personen, für verursachte Klima- und Umweltschäden zur Rechenschaft gezogen werden.   Weiter…

Alex Struwe

Vom Ende her gedacht

Ohnmacht, Schuldabwehr und der Verlust von Reflexion im Angesicht der Katastrophe 

Sir David Attenborough hat schon viel Inspirierendes über die Natur gesagt. Zum Beispiel, dass sie die »größte Quelle der Schönheit« und »so vieler Dinge, die das Leben lebenswert machen« sei. Seit einem halben Jahrhundert dokumentierte er für die BBC diese Schönheit des Lebens auf der Erde; kaum einer, der nicht schon durch seine Augen über den blauen Planeten und seine Wunder staunte. Einmal versunken in die Erhabenheit, die der ritterliche Naturforscher in diesen unzähligen Conscious Documentaries bewiesen hat, kann man von den blöden Menschen und ihrer Überheblichkeit gegenüber Mutter Erde nur schlecht denken. »Wir sind eine Plage auf der Erde«, sprach also der demütige Weise so vielen armen Seelen aus dem Herzen. Wer kennt ihn nicht, den Affekt von Selbsthass und Zivilisationsverachtung, wenn wieder einmal ein Bulldozer den Regenwald rodet, die Müllteppiche den Ozean bedecken und die rauchenden Schlote den Himmel verdüstern?  Weiter…

Sandra Zettpunkt, Ted Gaier, Jan Off

Von No Future zu Fridays for Future 

Ein Triptychon 

Von Anti-AKW-Protesten, den Warnungen vor saurem Regen und dem Absterben der Wälder bis hin zur Gründung der Partei Bündnis 90/Die Grünen samt erstmaligem Einzug in bundesdeutsche Parlamente: Die achtziger Jahre waren ein Jahrzehnt der Ökologie- und Umweltbewegung. Die damalige Angst vor dem großen Knall, nicht zuletzt angeheizt durch die Havarie des Kernkraftwerks Tschernobyl, war allgegenwärtig und strahlte bis in politische Jugend- und Subkulturen aus. Der Tanz auf dem Vulkan sollte das erwartete Ende der Welt zelebrieren. Das Motto, frei nach den Sex Pistols: »No future for you!« Kaum 40 Jahre später liegt der Fall anders. Unter der Überschrift »Fridays for Future« ist eine regelrechte Versessenheit auf die Zukunft entbrannt. Spätestens im letzten Jahrzehnt sind Artensterben, Endlichkeit der Ressourcen und Klimawandel wieder zu zentralen Themen geworden, um die sich neue aktivistische Bewegungen und Gruppierungen gebildet haben.   Weiter…